Rezension || Mona | Dan T. Sehlberg

by Wolfgang Brandner
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http://www.kiwi-verlag.de/autor/dan-t-sehlberg/1620/Eric Söderqvist, Informatikprofessor aus Stockholm, hat »Mind Surf« erfunden – ein gedankengesteuertes System, das die Bedienung von Computern von Grund auf verändern kann. Der Libanese Samir Mustaf ist ein früherer MIT-Professor, dessen Tochter Mona von einer israelischen Splitterbombe getötet wurde. Er hat den komplexesten Computervirus – Mona genannt – entwickelt, den die Welt je gesehen hat. Mit ihm soll ein Cyberangriff auf Israels Finanzsystem unternommen und das Land destabilisiert werden. Eric ist, auch wenn alle ihn für verrückt erklären, davon überzeugt, dass seine Frau, die für eine israelische Bank in Schweden arbeitet, von dem Computervirus infiziert wurde. Um sie zu retten, gibt es nur einen Weg: Er muss den Erfinder des Virus ausfindig machen. Während Eric die Jagd auf seinen akademischen Gegenpart Samir aufnimmt, wobei ihm Mossad wie Hisbollah und zu allem Überfluss auch das FBI stets auf den Fersen sind, fordert in Stockholm der mysteriöse Virus sein erstes Opfer, und Hannas Zustand verschlechtert sich zusehends … (Quelle: Verlag Kiepenheuer & Witsch)

Wenn Schweden Englisch sprechen, klingt das Ergebnis glockenhell, krinstallklar aber auch scharfkantig. In gleicher Weise präsentiert sich Dan Sehlberg sprachlich: Figuren, Lokalitäten, Situationen sind präzise beschrieben, die Silhouetten hart gezeichnet. Dies führt so weit, daß zum Teil die Dialoge mit Informationen überfrachtet sind. Was anderswo jedoch langatmig wirken würde, unterstützt hier das Verständnis der komplexen technischen und politischen Zusammenhänge.

Möglicherweise wird im ersten Viertel des Buches auch mit Ungeduld zu kämpfen haben, wer sich von der Inhaltsangabe des Verlags zur Lektüre verleiten läßt. Weit an den Kern des Romans vordringend, nimmt sie einen wesentlichen Teil der Handlung vorweg. Der Autor verweitert überraschende Wendungen, arbeitet stattdessen mit jener gewissenhaften Gemächlichkeit, die man aus der einschlägigen Kriminalliteratur seines schwedischen Heimatlandes gewohnt ist. Anstatt den Leser unvorbereitet in das Katastrophenszenario zu stürzen, führt er sorgfältig die relevanten Figuren ein, portraitiert sie im Spannungsfeld jener Interessen, von denen ihr Handeln motiviert ist. Geschildert werden die Schauplätze, die durch ihre kulturellen Kontexte entscheidend die Biographien prägen. So wird der Nahostkonflikt anhand der Lebensgeschichten der Mossad-Agentin Rachel und Samir, dem Schöpfer des titelgebenden Virus, skizziert, nicht wertend, ohne den Anspruch auf eine absolute Wahrheit zu erheben.

In den zahlreichen Abschnitten, die jeweils mit dem Handlungsort übertitelt sind, wechselt der Autor leichfüßig zwischen den Figuren, aus deren Sicht er jeweils erzählt. Dabei erfüllt jede von ihnen eine bestimmte Rolle, keine wirkt aus Verlegenheit geboren oder zufällig plaziert. Auf diese Weise wird zum einen die Einteilung zwischen Haupt- und Nebendarstellern erschwert. Zum anderen wird die Gesamtsicht des Lesers auf das Geschehen gezielt zum Spannungsaufbau genutzt. Indem dieser von den Plänen einer Figur erfährt, steigt die Neugier ins Unermeßliche, wie das Schicksal einer bestimmten anderen davon beeinflußt wird.

Einer eindeutigen Genrezuordnung will der Roman sich bewußt nicht ergeben. Was als Science-Fiction-Szenario mit revolutionären Computerprogrammen beginnt, entwickelt sich (beinahe naturgemäß) zur Schreckensvision der außer Kontrolle geratenen Künstlichen Intelligenz und führt schließlich zur Jagd kampferprobter Geheimagenten auf international agierende Terroristen. Technologie-Visionen erinnern an die Autoren der klassischen Zukunftsromane, während das Spiel mit der menschlichen Urangst vor den “Geistern, die ich rief” Assoziationen zu den Virtuosen des Horror-Genres erzeugen. Beinahe selbstironisch mutet da folgender Dialog an:

“Was zum Teufel hat Stephen King damit zu tun?”
“Gar nichts. Vergiß ihn.”

Wesentlich subtiler fällt da die beiläufig eingeflochtene Arbeit mit Symbolen aus, mit der der Autor beweist, daß er das Spiel mit leisen Tönen ebenso souverän beherrscht wie das Donnergetöse der Jagd auf Bombenleger. In der Schilderung der Träume, die Erics Frau Hanna in ihrem Koma befallen, wird das Tempo der Erzählung ganz bewußt gedrosselt. Sie irrt durch die Überreste einer Zivilisation, die von einer unbekannten Katastrophe heimgesucht wurde. Totenstille, sowie eine allgegenwärtige Schicht aus weißer Asche liegen über der Szenerie, bilden ein Memento Mori der Aschermittwochsliturgie, weisen auf die Vergänglichkeit des Irdischen hin. Von jeglicher Identität, Zuordenbarkeit, Greifbarkeit befreit, wacht ein unheimlicher Mann ohne Gesicht über den manifesten Traumhinhalt.

Erics Entscheidung, seine Suche nach den Ursprüngen des titelgebenden Computervirus anzutreten, geht eine Metamorphose voraus. Zerfressen von Ungewißheit, taucht er im Bad unter, verliert jegliches Körpergefühl, um sich von allen Zweifeln reingewaschen einer Wiedergeburt gleich wieder zu erheben. Passend ist auch der Ort für die Übergabe jener Informationen gewählt, die Eric auf die Spur von Monas Vater bringen: Im Marc Chagall-Museum in Nizza wird er mit den von jüdischer Symbolik durchsetzten Werken des Malers konfrontiert, dessen Leben nicht zuletzt von den Schrecken zweier Weltkriege geprägt war.

 

Persönliches Fazit

Mona ist ein exzellent recherchierter bildgewaltiger Roman, der schwedisch-gemächlich zwischen populären Genres wandert und aktuelle Themen aus Weltpolitik und Hochtechnologie thematisiert. Seine schwermütige Hauptfigur stellt zudem unter Beweis, daß Naturwissenschaft und humanistische Bildung eine nicht ungewöhnliche, einander ergänzende Synthese zu bilden in der Lage sind.

© Rezension: 2014, Wolfgang Brandner

 

Mona
Dan T. Sehlberg (Aus dem Schwedischen von Dagmar Lendt)
Thriller
Verlag Kiepenheuer & Witsch - ISBN: 9783462046137
2014
Klappenbroschur, 464 Seiten
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