Aufgelesen #14 | TOPFENGOLATSCHEN UND POWIDL

by Wolfgang Brandner
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AUFGELESEN #14

Was Österreicher und Deutsche voneinander unterscheidet, so heißt es, sei die gemeinsame Sprache. Wie ich selbst immer wieder erfahren muss, ist mir nicht jeder Begriff bekannt, und umgekehrt ist nicht jeder mir geläufige Ausdruck auch allgemein verständlich. Anlass genug also, mich dem Thema von der mir vertrauten Seite zu nähern.

Wikipedia definiert österreichisches Deutsch als “… die in Österreich gebräuchliche Varietät der neuhochdeutschen Standardsprache.” 

Im Zuge eines vom Österreichischen Rundfunk kürzlich veranstalteten Symposium zu diesem Thema steckt der Grazer Germanist Rudolf Muhr den Begriff folgendermaßen ab: “Das österreichische Deutsch ist […] alles, was dem Sprachtyp Deutsch ähnlich oder gleich ist und auf dem Gebiet der Republik Österreich existiert.” Österreichisches Deutsch sei somit die Gesamtheit aus Mundart und Standardsprache, wobei eine wesentliche Eigenart darin besteht, dass Österreicher in der Lage sind, sich “zweisprachig” zu verständigen. Sie können also fließend zwischen der umgangssprachlicher Beziehungsebene und der formellen Standardsprache wechseln, während dies in Deutschland unüblich ist. Dazu wurde ein weiterer wesentlicher Aspekt vorgetragen: Das österreichische Deutsch sei keinesfalls eine Untergattung, ein bloßer Dialekt, sondern konstituiere gemeinsam mit den in Deutschland und der Schweiz gebräuchlichen Varianten die Gesamtheit der Sprache.

Jedoch verschwemmen die Grenzen sukzessive, das Phänomen, dass sich hierzulande nicht nur Vokabular, sondern auch Aussprache und Tonfall den in Deutschland gebräuchlichen Varianten angleichen, sei bereits seit einiger Zeit zu beobachten. Als Hauptgrund dafür werden immer wieder amerikanische Filme und TV-Serien angeführt, die in Deutschland synchronisiert werden, aber auch Youtube-Kanäle bekannter Blogger vermitteln ein trendiges Bild der bundesdeutschen Sprachfärbung. Dazu kommt, dass viele österreichische Buchverlage von deutschen aufgekauft und infolge dessen lokal gebräuchliche Ausdrücke zugunsten einer breiten Verständlichkeit aus den Romanen redigiert werden.
Unterschiede finden sich – wenn auch im Zuge dieser Entwicklung in zusehends geringer Zahl – immer noch zuhauf und sowohl auf grammatikalisch-syntaktischer Ebene wie auch auf jener des Vokabulars. So heißt es in Österreich “das Cola” (statt “die Cola”), “der Akt” (statt “die Akte”), “ab und zu” (statt “ab und an”) oder “zu Ostern” (statt “an Ostern”). In der Küche findet man Eierschwammerl, Faschiertes und Fisolen, wer an einer Verkühlung leidet, fühlt sich marod, und wer ein Lackerl verursacht, sollte dies mit einem Wettex wieder beheben.
Wie aber ist es zu erklären, dass Veränderungen in der Sprache oft sehr sensibel wahrgenommen werden und zu jenen emotionalen Reaktionen der Zuschauer führen, von denen Vertreter des größten österreichischen Medienkonzerns berichten? Sprache sei ein zutiefst unbewusster Ausdruck der eigenen Identität, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe signalisiert. Unbekannte Begriffe, so Professor Muhr, wirken also bedrohlich. Wenn mit diesen unterschwellig die Botschaft vermittelt wird, das eigene sei minderwertig gegenüber allem, was aus einem anderen Sprachraum kommt, erzeugt dies Unsicherheit. Ähnlich wirkt auch die Öffnung der Welt durch TV und Internet, so Heimo Godler, Chefsprecher des ORF: Jahrzehntelang gültige Gewissheiten werden infrage gestellt, die Sprache als Ausdruck des zutiefst Persönlichen ist durch Veränderungen bedroht.

Letztendlich ist das System Sprache jedoch ein Seismograph des Zeitgeistes, eine Momentaufnahme gesellschaftlicher Befindlichkeiten. Sie ist ein fließendes, sich immerwährend veränderndes System.

Stets werden neue Ausdrücke in den allgemein anerkannten Sprachschatz aufgenommen und nicht mehr gebräuchliche aus diesem Inventar ausgemustert. Eine auf ewig gültige Festschreibung von Vokabular und Grammatik kann es demzufolge nur bei toten Sprachen geben. (Wer in der Schule Caesars “De bello Gallico” im Schweiße seines Angesichts übersetzen musste, weiß, wovon die Rede ist.)
Konsequenterweise muss man daher aber auch die Frage stellen, ob regionale Varianten einer Standardsprache überhaupt erhalten werden sollen, oder es im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen völkerübergreifender Verständigung nicht sogar hinderlich ist, auf ihnen insistieren? Der zentrale Satz in Ludwig Wittgensteins Hauptwerk lautet: “Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.” Um also nicht zu stumpfer Stille verdammt zu sein, um die eigene Gedankenwelt zu beflügeln, ja, darum sollte man sowohl die eigene Sprache (in der jeweils identitätsstiftenden regionalen Färbung) als auch möglichst viele andere beherrschen. Um andere Kulturen zu verstehen, ist es eine hilfreiche Voraussetzung, erst die eigene zu kennen.

So, liebe Leserin, lieber Leser, nun bist Du dran: Spontan, ohne zu googlen, welche kulinarischen Köstlichkeiten werden mit dem Titel der Kolumne bezeichnet?

Freudiges Weiterlesen!

© Wolfgang Brandner

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