Aufgelesen #10 | Mord in der Mozart-Metropole

by Wolfgang Brandner
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AUFGELESEN #10

Liebe Leserin, lieber Leser,
die letzten beiden Ausgaben der Kolumne “Aufgelesen” waren dem alljährlichen Salzburger Krimifest “Peng” gewidmet, wo renommierte Autoren aus dem Spannungsbereich ihre aktuellen Werke präsentierten.
Immer mehr von ihnen stellen dabei auch einen örtlichen Bezug her, ein Umstand, der Manfred Koch auch sarkastisch vor einer Dezimierung der ländlichen Bevölkerung durch literarische Serientäter warnen ließ. Hier anknüpfend, werfe ich in dieser Woche einen Blick auf zwei Krimis, die zwar beide in Salzburg angesiedelt sind, jedoch in Bezug auf die Mozartstadt recht unterschiedliche Ansätze wählen:

Ein brutaler Mord an einem Arzt in einem Salzburger Krankenhaus. Eine solche Gewalttat bildet die Ausgangssituation gleich zweier unabhängig voneinander verfasster Romane, die in letzter Zeit mein Leserherz erfreut und an meine Ortskenntnis appelliert haben. Im 2009 erschienen “Herzlos” von Franz Zeller wird im Landeskrankenhaus ein Herzchirurg ermordet, während in der brandaktuellen (2015) Veröffentlichung von Ursula Poznanski, “Stimmen” in der Psychiatrie des Klinikums Salzburg Nord die bizarr arrangierte Leiche eines Psychiaters aufgefunden wird. Die leitenden Ermittler Franco Moll einerseits und Beatrice Kaspary andererseits sind nicht nur mit der Aufklärung des Falles bestens ausgelastet, auch von ihren Kindern werden die beiden alleinerziehenden Elternteile auf Trab gehalten.

An diesem Punkt endet nun der gemeinsame Weg der beiden österreichischen Autoren, wir sind an einer Gabelung angelangt. Franz Zeller begibt sich mit dem Auftakt seiner Reihe um Franco Moll auf die zur asphaltierten Landstraße angewachsenen Pfade eines Regionalkrimis, Ursula Poznanski hingegen fühlt sich mit dem mittlerweile dritten Teil im Thriller-Genre sichtlich wohl.
Immerhin, werfen wir einige vergleichende Blicke auf die beiden Kopfreisen in die Stadt zwischen Mönchs- und Kapuzinerberg:
Ortsbezug
Von einem Roman mit real existierendem Handlungsort erwartet man, diesen Ort anhand prominenter Schauplätze eindeutig wiederzuerkennen. Gerade Salzburg ist mit seiner barocken Innenstadt als vielbesuchte Tourismusdestination weithin bekannt und drängt sich als Kulisse für
Mordermittlungen geradezu auf, wie bereits Wolf Haas bewies. Franz Zeller wird diesen Erwartungen mehr als gerecht, spaziert mit seinen Protagonisten durch die Getreidegasse, über den Mozartplatz, vorbei am Café Glockenspiel, benennt präzise Straßen und Brücken und lässt im bekannten Augustinerbräu im Stadtteil Mülln verweilen. Im Gegensatz dazu wäre der Handlungsort bei Ursula Poznanski leicht auswechselbar. Einen kurzen Auftritt erlebt ein bekanntes Café am Salzachufer, bereits das “Klinikum Nord” wird im Nachwort von der Autorin als erfunden entlarvt. Immerhin, Moll und Kaspary könnten einander täglich begegnen, haben sie doch beide ihre Büros in der Polizeidirektion in der Salzburger Alpenstraße.
Figuren
Erstaunlich detailliert zeichnet Franz Zeller seine Figuren im ersten seiner mittlerweile auf vier Bände angewachsenen Serie. Trotz seiner italienischen Wurzeln weigert sich Franco Moll, südländischen Klischees zu entsprechen. In amourösen Belangen alles andere als vom Glück verfolgt, erlebt ihn der Leser in seinem täglichen Kampf um Ausgewogenheit zwischen Mordermittlung und Kindererziehung. Beides fordert seine volle Aufmerksamkeit, das schlechte Gewissen ist sein ständiger Begleiter. Tatsächlich umso tatkräftiger unterstützt wird er vom korpulenten, traditionsbewussten Pinzgauer Polizisten Oberhollenzer, dem der Autor interessanterweise keinen Vornamen zugestehen will.
Kumpelhaft bierselig seinen Kollegen gegenüber, erweist er sich in Vernehmungen der Verdächtigen als unerbittlich, nutzt dabei geschickt seine imposante Erscheinung. Kosmopolit und rustikaler Charme, wen erinnert diese Paarung da nicht an die “Rosenheim Cops”?
Erstaunlich blass verbleibt im Vergleich Beatrice Kaspary in ihrem bereits dritten Fall. Auch sie hat die alleinige Obsorge über sogar zwei Kinder, ihr Dilemma ist jedoch weitaus weniger ausgeprägt als Franco Molls: Kasparys Hauptaugenmerk gilt eindeutig dem Beruf. Viel zu kurz kommt die Familie, etwaige Schuldgefühle werden mit Rotwein hinfort gespült. Selbst unter Kollegen ist sie auffällig aggressiv, sucht die Konfrontation, sodass sogar ihr Partner Florin Wenninger zur Mäßigung
rät. Zu diesem, Spross aus gutbürgerlichem Haus, fühlt sich Beatrice hingezogen, die Avancen bleiben lange Zeit zögerlich unentschlossen. Ob sie aus Sehnsucht oder tatsächlichem Interesse an Florin getrieben wird, ist ebenso unklar, ihrer Familie gegenüber wirkt ihr Verhalten zumindest egoistisch.
Familie
Das familiäre Umfeld sollte dem Protagonisten emotionale Stabilität in einem aufreibenden Beruf bieten, sollte Rückhalt, Rückzugsort sein. Dadurch, dass beide, sowohl Franco Moll, als auch Beatrice Kaspary alleinerziehende Elternteile sind, stehen auch private Turbulenzen auf der Tagesordnung, der Gewissenskonflikt ist vorprogrammiert. Moll greift zur naheliegenden Lösung: Immer wieder vertraut er seinen sechsjährigen Sohn Felix der Obhut der Großeltern an. Dazu gesellt sich im späteren Verlauf des Romans sein liebeskranker Freund Weinmeister, der sich für Felix als väterlicher Kamerad erweist. Dieser wiederum etabliert sich zur heimlichen Hauptfigur. Seine kreativen Ideen, den Haushalt um Hasen oder Fische zu erweitern, sorgen beim Lesen immer wieder für Auflockerung.
Dass Beatrice Kaspary die Verantwortung für ihren achtjährigen Sohn Jakob und ihre zwölfjährige Tochter Mona als lästige Bürde empfindet, wird nahezu offen ausgesprochen. Wen wundert es, dass ihr Ex-Mann Achim das Sorgerecht für sich beansprucht, wenn Beatrice ihre Abende und Nächte lieber mit ihrem Kollegen Florin verbringt. Beatrice selbst mändert zwischen Aggression und Frustration, wer jedoch erwartet, dass sie wie eine Löwin um ihre Kinder kämpft, der irrt. Vielleicht liegt dies auch an den beiden selbst: Eine Rolle, die über das Einfordern von Hausaufgabenzeit hinausgeht, billigt die Autorin ihnen nicht zu.
Geschichte
Obwohl Franco Moll sich engagiert der Ermittlungsarbeit widmet, scheint die Aufklärung des Mordes letztendlich nur ein roter Faden zu sein, der durch die Handlung führt und bei Bedarf aufgegriffen wird. Die Figur steht so deutlich im Vordergrund, der Kampf um ein Stück Familienleben wird so farbenfroh lebendig geschildert, dass sich ernsthafte Sorge um den Fortgang der Ermittlungen einstellen kann. Tatsächlich bereitet das Täterraten anhand der vorgestellten Verdächtigen nicht annähernd so viel Freude, wie Molls Sohn Felix auf der Suche nach dem idealen Haustier zu begleiten.
Mit einem Arrangement des Opfers, das an einen Ritualmord erinnert, schlägt Ursula Poznanski den entgegengesetzten Weg ein. Je weniger Distikives die Protagonisten aufweisen, desto brisanter wird die Tätersuche. Als es nicht beim ersten Todesfall bleibt, wird außerdem eine tickende Uhr zum ständigen Begleiter, die Spannung steigt. Nicht unerwartet sorgt zudem eine symbolisch-mystische Komponente, die im späteren Verlauf ins Spiel gebracht wird, für eine weiter fesselnde Wendung. Wenn auch der Adrenalinspiegel des Lesers unter jenem bleiben dürfte, der die Lektüre der Vorgängerbände “Fünf” und “Blinde Vögel” begleitet, werden beim Rasen zur letzten Seite sämtliche Ampeln im Salzburger Stadtverkehr ignoriert.
Sprache / Stil
Jene Zeit, die sich Moll und Oberhollenzer bei der Auflösung ihres Falles lassen, nutzt der Autor einerseits für lehrreiche Umwege in Salzburg, andererseits für das Spiel mit der Sprache. So kommentiert er etwa den Salzburger Tagesbeginn als einen ” … Morgen wie ein Gewitter in der Seele.”
Seine beiden Hauptfiguren erörtern ernährungstechnisch-gesellschaftliche Fragen …


“Könnt ihr Pinzgauer auch etwas anderes als essen?”, hakte Moll nach.
“Ja, die ganze Welt duzen und Rinder züchten.”

… und stellen existentielle Überlegungen an …

“Ich hab mich gerade gefragt, warum du keinen Vornahmen hast.”
Oberhollenzer schmunzelte
“Ich hatte nur die Wahl zwischen seinem italienischen Vornamen oder gar keinem. Da habe ich mich entschieden, lieber namenlos aufzuwachsen.”

Ursula Poznanski verschwendet hingegen keine Zeit für sprachliche Schnörkel. Stark am Fortgang der Handlung orientiert, bleibt sie nüchtern, kommentiert wenig, hält sich als erzählerische Instanz dezent im Hintergrund. Wo bei Zeller eine klare Struktur fehlt, sind in Stimmen die Kapitel deutlich erkennbar voneinander abgetrennt und in bewährter Manier mit Cliffhangern versehen. Die Autorin will offensichtlich weniger stilistisch brillieren, als den Fall mit Hochspannung voranzutreiben.
Wofür sollte man sich also entscheiden, wenn man sich auf Mörderjagd in Mozarts Geburtsstadt begeben will? Die Antwort kann natürlich nur lauten: Für beide der vorgestellten Bände. Wer
atemberaubende Spannung vorzieht, legt “Stimmen” zuoberst auf seinen Bücherstapel, wer die gemütlichere Atmosphäre vorzieht, für den nimmt “Herzlos” diesen Platz ein.

Und darunter finden sich selbstverständlich die Werke von Tatjana Kruse, Manfred Baumann, Manfred Koch und Wolf Haas.

Freudiges Weiterlesen!

© Wolfgang Brandner

 

 

 

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