Rezension: Das böse Kind | Sabine Kornbichler

by Wolfgang Brandner
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Eine junge Frau gerät scheinbar aus dem Nichts in Panik, rennt vor ein Auto und stirbt – ein tragisches Unglück, und doch kommt Nachlassverwalterin Kristina Mahlo der Fall seltsam vor. Was kann die freie Lektorin von einem Moment auf den anderen so sehr in Schrecken versetzt haben? Im Nachlass der Toten entdeckt Kristina Hinweise auf ein Ereignis, das jede Sekunde im Leben der jungen Frau bestimmt hatte. Und auf einen erbarmungslosen Täter, der allgegenwärtig scheint. [Text & Cover: © Piper Verlag]

SPOILERWARNUNG

In der folgenden Rezension werden Teile des Inhalts vorweg genommen, die der Geschichte eine Wendung verleihen.

Es gibt Bücher, die sind Nach-Hause-Kommen in eine heimelige Stube. Man lässt den Blick über die ersten Zeilen gleiten und wird sogleich im Kreis der vertrauten Figuren willkommen geheißen. Natürlich, auf diesem Wiedererkennungswert fußt das Prinzip von Romanserien: Figuren müssen, einmal eingeführt, nicht mehr vorgestellt werden und haben über mehrere Bände hinweg Zeit, ihre eigenen Geschichten zu entwickeln. Viele Autoren nutzen diesen Effekt in erster Linie zur Zeitersparnis, um mit Beginn eines neuen Bandes unmittelbar ins Geschehen einzutauchen. Anders agiert Sabine Kornbichler. Bevor die Nachlassverwalterin Kristina Mahlo wieder einem Verstorbenen posthume Gerechtigkeit widerfahren lässt, erlebt sie der Leser in ihrer angestammten Umgebung. Hin- und her gerissen zwischen zwei Männern, muss sie ihre Rolle als Vermittlerin zwischen ihren Eltern erfüllen und ihrer Freundin Henrike in in einer peinlichen Situation beistehen, bevor sie sich schließlich mit ihrer Kollegin Funda bei einem Stück Baklava stärken darf.

Erst also, wenn das Gewebe des Gewöhnlichen dicht und farbenprächtig ausgestaltet ist, erzeugt das Außergewöhnliche, von dem es zerrissen wird, ein ausreichend hohes Maß an Betroffenheit. Erst also, wenn der Leser es sich zwischen den Seiten bequem gemacht hat, ist er bereit für eine neue Geschichte aus der Feder von Sabine Kornbichler.

Und wieder einmal fungiert für diese die am stärksten ausgeprägte Charaktereigenschaft von Kris Mahlo als Triebfeder, nämlich ihre Neugier. Sowohl moralisch, als auch rechtlich verhält sie sich höchst zweifelhaft, wenn sie die privaten Tagebücher Verstorbener als Bettlektüre benutzt und vernarbte Wunden von Hinterbliebenen wieder aufreißt, wenn sie auf eigene Faust Nachforschungen zu einem lange zurückliegenden Todesfall anstellt. Jedoch muss sie sich dabei lediglich dem Urteil der Leser aussetzen, und hier bringt ihr dieses Robin Hood-artige Rechtsverständnis wohl mehr Sympathie als Kritik ein. Konkret erinnert das Steinmännchen, das eine junge Frau in Panik versetzt, an die Aufzeichnungen einer drei Jahre zuvor Verstorbenen, in denen ein ähnlicher Fall geschildert wird. Durch diese Gedächtnisleistung der Hauptfigur wird die Handlung überhaupt erst angestoßen, doch wirkt gerade dieser Zufall – die zweifache Begegnung mit der einzigartigen Signatur des Täters – sehr bemüht und hart an der Grenze des Glaubhaften.

Nichtsdestotrotz weiß Sabine Kornbichler in ihrem aktuellen Roman wieder mit ihrem aufmerksamen Blick für Details zu überzeugen. “Ein etwa zweijähriger Junge kam an unseren Tisch und schaute Corinna Lutz aus großen Augen an. Als sie ihn anlächelte, hielt er sich die Hände vor die Augen, um gleich darauf zwischen den Fingern hindurchzublinzeln.” Begebenheiten wie diese tragen nichts zur Entwicklung der Geschichte bei, aber bilden jenes Inventar alltäglicher Details, das den Roman in seinen sozialen Kontext einbettet, ihn in bemerkenswert lebendigem Licht erstrahlen lässt. Indem die Autorin nicht stur den skizzierten Pfad entlang marschiert, sondern zuweilen auch stehenbleibt, um die Vegetation an seinem Rande zu betrachten, wirkt sie mehr ihren Lesern als ihrem Verlag verpflichtet. Dazu werden emotional besonders intensive Situationen mit eindringlichen Symbolen illustriert. Wenn Kris Mahlo nach einer Todesnachricht in Embryonalstellung auf der regennassen Gartenbank kauert, kann sich der Leser eines Fröstelns nicht erwehren. Wenn das Stilleben eines gedeckten Frühstückstisches von den blutigen Spuren eines Mordes kontrastiert wird, findet sich in diesem Bild die Dekonstruierung der Fassade einer Bilderbuchfamilie auf den Punkt gebracht.

Die Entscheidung für Buchcover und -titel dürfte von jemandem getroffen worden sein, der mit dem Inhalt nicht vertraut ist. Das Steinmännchen – jene kunstvolle Stapelung von Kieseln, die eine zentrale Rolle spielt – wäre als Motiv weit aussagekräftiger als die beliebig wirkende schwarze Katze. Der Titel schließlich nimmt die Auflösung vorweg und konterkariert die Bemühungen der Autorin, ihre Leser irrezuführen.

Persönliches Fazit

Liebenswürdig-lebendiger Wohlfühlkrimi mit offensichtlicher Starthilfe für die Handlung und einer zuweilen übertrieben neugierigen Hauptfigur.

© Rezension: 2016, Wolfgang Brandner

 

Das böse Kind
Sabine Kornbichler
Kriminalroman
Piper Verlag - ISBN: 9783492308328
2015
kartoniert, 384 Seiten
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