Aufgelesen #16 | WER WAR WILLIAM SHAKESPEARE? [Teil2]

by Wolfgang Brandner
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Aufgelesen #18

[Fortsetzung >> Teil 1]

Liebe Leserin, lieber Leser,

von einem Vogelbeobachter aus vergangenen Tagen (“Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“) handelte die letzte Ausgabe dieser Kolumne und endete mit Zweifeln an dessen Schaffenskraft. Wer hat “Romeo und Julia” tatsächlich sich ineinander verlieben und miteinander sterben lassen? Müssen wir also gar konstatieren, es war der Adelige und nicht der Getreidehändler?

Biographen und Historiker hegen nämlich den Verdacht, der Name William Shakespeare sei lediglich ein Pseudonym für einen anderen zeitgenössischen Poeten gewesen. Als mögliche Kandidaten gelten Sir Francis Bacon, Sir Walter Raleigh, Christopher Marlowe oder der 2. Earl of Essex. Insgesamt werden über 60 Namen als mögliche Verfasser der Shakespeare-Dramen gehandelt. Über einen Wissensstand wie den erwähnten konnte nur ein Mitglied des Adels verfügen, für den schriftstellerische Tätigkeiten jedoch als verpönt galten.
Zahlreiche Indizien deuten auch auf Edward de Vere, den 17. Earl of Oxford, in dessen Biographie zahlreiche Überschneidungen mit jener Shakespeares nachweisbar sind. Es wird also vermutet, daß der Getreidehändler aus Stratford für ihn lediglich einen willigen Strohmann darstellte. Als wichtigstes Beweisstück gilt eine Bibel aus dem Eigentum de Veres, die zahlreiche Markierungen von Textstellen enthält, die in den Dramen eine wesentliche Rolle spielen.
Dieser Theorie widersprechen Experten des deutschen Bundeskriminalamts, die überlieferte Darstellungen wie eines Portraits, eines Kupferstichs und einer Totenmaske mit einer computergestützten Rekonstruierung von Shakespeares Physiognomie verglichen. Ihr Schluß: Bei dem Verfasser der Dramen und dem Getreidehändler aus Straford mit dem markanten Namen handelt es sich mit großer Sicherheit um ein und dieselbe Person. Auch das Rätsel um die letzten Lebensjahre läßt sich mit der Argumentation des BKA plausibel lösen: Der gänzliche Rückzug aus dem öffentlichen Leben und das damit verbundene Ende der literarischen Produktion wird mit einer krebsartigen Erkrankung begründet.

Eine weitere Theorie geht davon aus, daß Shakespeare als Geheimagent der Krone tätig war und sich daher alle Mühe gab, seine wahre Identität zu verschleiern.

Dabei darf man sich jedoch keinen James Bond des 16. Jahrhunderts vorstellen, sondern einen Spitzel, der das Königshaus über mögliche katholische Aufstände informierte. Immerhin handelte es sich um die Zeit konfessioneller Unruhen: Nach der Gründung der Church of England durch Heinrich VIII, der Öffnung des Landes für die Reformation und der blutigen Wiedereinführung des Katholizismus durch Maria I. Tudor (“Bloody Mary“) war der Protestantismus unter Elizabeth I. gerade wieder dabei, an Einfluß zu gewinnen. Künstler wie Autoren und Schauspieler waren daher als Informaten von unschätzbarem Wert, da sie mit zahlreichen Menschen in unterschiedlichen Regionen ins Gespräch kamen.
Schließlich gibt es da noch jene Spekulation, die Anthony Burgess in seiner Kurzgeschichte DIE MUSE anstellt und die gerne zur Illustration des sogenannten Informationsparadoxons herangezogen wird: Ein junger Mann aus dem 20. Jahrhundert reist mit seiner Zeitmaschine ins Stratford des 16. Jahrhunderts, um die gesammelten Werke Shakespeares vom Autor signieren zu lassen. Dieser entpuppt sich jedoch keineswegs als literarisches Genie sondern als dumpfer Trunkenbold, der dem Verehrer die Bücher stiehlt, sie abschreibt und als seine eigenen verkauft. Wer also hat sie nun ursprünglich verfaßt?
Wer auch immer nun tatsächlich mit außerordentlichem sprachlichen Talent gesegnet war und wer möglicherweise nur vorgeschoben wurde, die Qualität der Stücke wird durch Zweifel an der Urheberschaft keineswegs geschmälert. Im Gegenteil, verleiht es ihnen nicht auch so etwas wie eine magische Aura, die Umstände ihrer Entstehung nicht hundertprozentig entschlüsselt zu wissen? Beschäftigen wir uns also mit den eindrucksvollen Demonstrationen menschlicher Kreativität, die das Gütezeichen “Shakespeare” tragen, die durch die Jahrhunderte transportiert und immer wieder neu interpretiert werden.
Und der Rest – wie es so schön heißt – ist Schweigen.
Freudiges Weiterlesen.
© Wolfgang Brandner
2 comments

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2 comments

Rica 4. Juli 2017 - 20:13

Klasse! In Deinen Artikeln habe ich mehr über Shakespeare erfahren als in meinem Literatur- und Englisch-Studium. Traurig, aber wahr…

Na ja, zumindest mehr über Shakespeare als Person. Seine Werke kann man nach so einem Studium ja rückwärts flöten. Danke für die tollen Beiträge!

Liebe Grüße

Rica

Reply
WolfgangB 6. Juli 2017 - 14:45

Na, dann haben wir ja unseren Bildungsauftrag erfüllt 😉

Danke für Deinen Kommentar, schön, daß Du auf den nicht mehr neuen, aber (hoffentlich) zeitlosen Text gestoßen bist.

Mir geht's halt bei Shakespeares Sprache so, daß man sich daran nicht sattlesen kann, sie ist einfach so gehaltvoll. Und einige biographische Hintergründe dazu erleichtern das Verständnis, werten seine Worte noch weiter auf.

Nun denn, bleibet unserem Blog treu und gehabt euch wohl!

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