Rezension: Todesreigen | Andreas Gruber

by Wolfgang Brandner
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Nachdem eine Reihe von Kollegen auf brutale Art Selbstmord begangen haben, wird Sabine Nemez – Kommissarin und Ausbilderin beim BKA – misstrauisch. Vieles weist auf eine jahrzehntealte Verschwörung und deren von Rache getriebenes Opfer hin. Sabine bittet ihren ehemaligen Kollegen, den vom Dienst suspendierten Profiler Maarten S. Sneijder, um Hilfe. Doch der verweigert die Zusammenarbeit, mit der dringenden Warnung, die Finger von dem Fall zu lassen. Dann verschwindet Sabine spurlos, und Sneijder greift selbst ein. Womit er nicht nur einem hasserfüllten Mörder in die Quere kommt, sondern auch seinen einstigen Freunden und Kollegen, die alles tun würden, um die Sünden ihrer Vergangenheit endgültig auzulöschen … [Text & Cover: © Goldmann Verlag]

ACHTUNG: DIESE REZENSION ENTHÄLT SPOILER

Erinnern wir uns: Der Vorgängerband “Todesmärchen” endete mit einem nicht im Affekt durchgeführten Mord von Maarten S. Sneijder. Eine der drängendsten Motivationen, den neuen Roman von Andreas Gruber dem Buchhändler seines Vertrauens also geradezu aus den Händen zu reißen, ist also die Neugier um das weitere Schicksal des exzentrischen Profilers. Sollte dies nicht der Fall sein, wird dies womöglich daran liegen, daß die Figur dem Leser noch nicht bekannt ist – die Lektüre der ersten drei Bände ist also dringend zu empfehlen.

In seinem Nachwort bezeichnet der Autor den vorliegenden Roman als “Auftakt einer neuen Trilogie”. Unter diesem Gesichtspunkt ist er wohl auch zu verstehen, wenn er sich in einem entscheidenden Punkt von seinen drei Vorgängern abhebt. Um ein weiteres Mal das Gedächtnis der Leser von Andreas Gruber zu strapazieren, sowohl in “Todesfrist”, als auch in “Todesurteil” und “Todesmärchen” stellte der jeweilige Serienmörder seine Taten unter ein verbindendes Motto, ein brachialpädagogisches Kinderbuch, Szenen aus einem italienischen Werk der Weltliteratur, eine Märchensammlung. In jedem dieser Romane sind die Ermittler mit einer Form diabolischer Kreativität konfrontiert, die dem Täter an Persönlichkeit verleihen, ihn berechenbar scheinen läßt.

Auch in Grubers neuem Thriller liegt den gewaltsamen Todesfällen ein – zunächst klarerweise verborgenes – verbindendes Element zugrunde, gibt es einen Plan, der penibel abgearbeitet wird. An die Stelle der Kreativität tritt jedoch diesmal die Effizienz: Der Täter will nicht Gleiches mit (symbolisch) Gleichem vergelten, keine Geschichte erzählen, an der Leser und Ermittler teilnehmen, sondern schlicht und einfach erlittenes Unrecht vergelten. Der Roman bedient sich des dankbaren Themas der “Sünden der Vergangenheit”, der Gegenspieler von Sabine Nemez und Maarten S. Sneijder wirkt auf den ersten Blick wie eine moderne Variante des Grafs von Monte Christo. Das Augenmerk des Täters liegt weniger auf der Inszenierung der einzelnen Morde und mehr auf dem Ergebnis. Als Konsequenz bieten sich für den Leser weniger Momente fasziniert-angewiderten Staunens wie etwa ein Mordopfer mit Litern von Schreibtinte im Körper oder eine Nachstellung des Märchens von der Prinzessin auf der Erbse.

Andreas Gruber versteht es jedoch, seine Leser routiniert – ohne auch nur Spuren von Amtsmüdigkeit erkennen zu lassen – in einen bis zur letzten Seite anhaltenden Zustand des Tunnelblicks zu versetzen. Sein Markenzeichen ist dabei der immer weiter verfeinerte Instinkt für Informationsdosierung, also welcher Teil des Gesamtbildes zu welchem Zeitpunkt preisgegegeben wird, so daß dieses angespannt zu erahnen, niemals jedoch gänzlich zu erkennen ist.

Ein weiterer Aspekt, der “Todesreigen” von seinen drei Vorgängern abhebt (und seine Rolle als erster Teil einer neuen Serie unterstreicht) ist die Hauptfigur Sabine Nemez, deren lange Lehrjahre unter der strengen Ägide von Maarten S. Sneijder nun abgeschlossen sind. Endgültig hat sie sich als seine Partnerin auf Augenhöhe etabliert, in Sneijders Worten: “Sie sind nicht mehr das kleine Eichkätzchen von früher. Sie sind eine Wildkatze geworden, die Krallen zeigt.” (S. 265)

Auch dem Leser gegenüber scheint der unnahbare Fallanalytiker immer weiter seine selbstgewählte Deckung zu verlassen, seine ursprünglich verletzenden Kanten sind abgeschliffen. Gleichzeitig bemühen sich die ihn flankierenden Figuren, weiter zu seiner Legendenbildung beizutragen, indem sie mit niederländischem Akzent seine Lehrsätze oder seine irritierende Angewohnheit, dem Gesprächspartner exakt drei Sätze zuzugestehen, parodieren.

Wenn Maarten S. Sneijder auch zu einer sympathischen Karikatur seiner selbst überzeichnet wird, rechtzeitig zum Showdown verstummen die Witze auf seine Kosten wieder. Mit einem aufgelassenen, verfallenen Hallenbad wählt der Autor für die letzten Szenen einen Ort, an dem das ursprünglich laut hallende Vergnügen in schaurige Stille verkehrt wurde, an dem jeder Schatten schaudern läßt.

 

Persönliches Fazit

Weniger originell als die übrigen Teile der Reihe, aber bewährt nervenzerreißend spannend mit konsequent weiterentwickelten Hauptfiguren, so verfliegen die Seiten im neuen Roman des österreichischen Autors.

© Rezension: 2017, Wolfgang Brandner

 

Todesreigen
Andreas Gruber
Thriller
Goldmann Verlag - ISBN: 9783442483136
2017
Taschenbuch, 576 Seiten
3 comments

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3 comments

E.B. Blauensteiner 21. Dezember 2017 - 13:43

Ich kannte den Autor bisher nicht, habe also keinen Vergleich zu den Vorgängerbüchern,…. dieses Buch klingt jedenfalls spannend, danke für die Empfehlung.
Evelin B.Blauensteiner, Wien

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WolfgangB 22. Dezember 2017 - 14:36

Liebe Evelin,
Jaja, der Prophet im eigenen Land … 😉
Das durfte ich auch schon beobachten, daß ein österreichischer Autor, der in Deutschland ganze Hallen füllt, diesseits der Landesgrenze nicht ganz so bekannt ist.
Aber all jene, denen ich Andreas Gruber bereits ans Herz gelegt habe, fressen seither eines seiner Bücher nach dem anderen.
Hoffentlich wird es auch Dir so ergehen. Sinnvollerweise rate ich dazu, mit dem ersten Teil der Reihe, “Todesfrist” zu beginnen.
Viel Vergnügen mit Maarten S. Sneijder und frohe Weihnachten!
Wolfgang

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Rezension zu Todesreigen von Andreas Gruber - angeltearz liest 18. September 2019 - 9:20

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