Rezension: Armageddon | Wolfgang Hohlbein

by Wolfgang Brandner
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Auf dem Flug nach Tel Aviv begegnet Beka dem gleichermaßen faszinierenden wie undurchschaubaren Luke. Doch bevor sie sein Geheimnis ergründen kann, zerreißt eine gewaltige Druckwelle das Flugzeug. Das Undenkbare ist geschehen: Eine Atombombenexplosion vernichtet weite Teile Israels. Aber Beka und Luke überleben. Sie finden sich in einem unterirdischen, verlassenen Tempel wieder, der von geheimnisvollen Symbolen übersät ist. Und alles deutet darauf hin, dass Armageddon begonnen hat – die letzte Schlacht … [Text & Cover: Piper Verlag]

Wolfgang Hohlbein ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren, der auf ein beeindruckend umfangreiches Gesamtwerk verweisen kann, mit dem er zahlreiche Nuancen des Fantasy-Genres ausgelotet hat. Als sein besonderes Verdienst gilt es, junge Leser mit seinen Geschichten zu verzaubern und in der Welt der Bücher willkommen zu heißen. Gerade in den mit seiner Frau ersonnenen Geschichten arbeitet er mit jugendlichen Protagonisten und projiziert den Reifeprozeß der Persönlichkeit auf einen epischen Kampf Gut gegen Böse.

Und … was wäre ein Hohlbein-Roman ohne die Lieblingswendung des Autors zum Ausdruck sehnsüchtiger Begierde:

 

“Aber was allen Schreckensgestalten und Special-Effects, für die Roland Emmerich wahrscheinlich seinen rechten Arm geopfert hätte …” (S. 384)

Mit seinem aktuellen Roman “Armageddon” wendet er sich (nach dem Thriller “Mörderhotel”) wieder an die Leserschaft an der Schwelle zum Erwachsenenalter. Hauptfigur Beka, kurz für Rebecca, ist weitgehend eigenschaftsfrei und somit eine typische Hohlbein-Heldin. Indem er nämlich seine Charaktere bewußt unscharf zeichnet, konzipiert der Autor sie als universelle Identifikationsfiguren. Allerdings wird Beka als “fast 20 Jahre, eine erwachsene Frau, keine pubertierende Dreizehnjährige” beschrieben, womit sie deutlich über dem Altersschnitt des Zielpublikums liegen dürfte. Zunächst relativiert Hohlbein diesen Vorsprung, indem er Bekas Gemütszustand angesichts eines etwa gleichaltrigen jungen Mannes in eben jene Phase hormonellen Erwachens zurückversetzt. Schließlich trifft sie auf Jugendliche (im betreffenden Altersbereich), die in Stämmen organisiert, um ihr Überleben kämpfen. Nun löst der Autor die Diskrepanz zwischen Leser und Hauptfigur endgültig auf, indem er diese wesentlich infantiler agieren läßt, als man es sich angsichts ihres Alters erwarten würde. Mit der Ausgangssituation – sieben Jahre in die Zukunft in eine verwüstete Welt geworfen zu werden – findet sich Beka erstaunlich schnell ab, ihre Neugier ist im Gegensatz zu jener des Lesers allzu rasch gestillt. Dazu wirken ihr Sarkasmus und ihre übertriebene Coolness unangebracht für jemanden, dessen Flugzeug nach Israel ungeplant in einer Umgebung ohne zivilisatorische Errungenschaften wie Strom und fließendes Wasser notlanden mußte.

Offensichtlich, um sich des Kontaktes zu den Lesern zu versichern, flicht der Autor immer wieder Referenzen auf die Populärkultur ein, die allerdings leicht anachronistisch wirken. Die Leserschaft mag mit der klingonischen Grußformel aus Star Trek noch vertraut sein, ob der Film “Highlander” aus den 1980er-Jahren allerdings noch bekannt ist, darf bezweifelt werden …

In dieser in Trümmern liegenden Welt – als Ursache wird vage eine Atombombe genannt – verbündet sich Beka schließlich mit ihren neuen kindlichen Gefährten, um sich auf eine abenteuerliche Suche zu begeben. Aber wonach eigentlich? Nachdem das Jerusalem in seiner neuen Gestalt mit all seinen Gefahren erkundet wurde, ist es wohl als obligater Akt der Rebellion zu verstehen, daß Beka und zwei ihrer neuen Freunde dem Einfluß eines übermächtigen Engels entfliehen. Allerdings scheinen weder die kleine Reisegruppe, noch der Roman selbst ein konkretes Ziel anzustreben. Ein Finale oder eine Auflösung ist nicht in Sicht, der Roman funktioniert wie eine postapokalyptische Sightseeing-Tour, in der die Helden von einem Schauplatz zum nächsten getrieben werden. Jedes Mal, wenn die Fragen nach Sinn des Unterfangens oder gar der Ursache der Lage zu drängend werden, sorgt der Autor für Action und verscheucht seine Figuren mit einer neuen Gefahr aus ihrer Kontemplation.

Dazu kommt Hohlbeins lockerer Umgang mit dem Thema Religion. Der Roman wirkt wie ein bizarres Sammelsurium christlich-jüdischer Symbole, die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und neu arrangiert wurden. Damit mag der Autor vielleicht die Neugier wecken, dazu motivieren, die tatsächlichen Hintergründe in der Bibel und im Talmud nachzuschlagen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß er mit seinen Anspielungen bestenfalls auf fragmentarisches Halbwissen im Kreise seiner Leser treffen wird. Man könnte ihm durchaus unterstellen, diese unvollständigen Kenntnisse bewußt zu nutzen: Wo Religion im Jahr 2017 vielfach als mystisch verklärte Brauchtumspflege wahrgenommen wird, ist es leicht, sie in eine per se nicht zu erklärende Form von Magie umzudeuten, die einem jeden Fantasy-Roman als Grundlage dient. Ein Schutzengel, der sich als mordlüsterner Dämon entpuppt, ein unversehrtes Becken mit Weihwasser, das alle Wunden in Sekundenschnelle heilt oder aus dem Jüdischen stammende Vornamen wie Yoram oder Thora … hier  wird eine neue Mythologie im Baustein-Prinzip konstruiert.

Persönliches Fazit

“Armageddon” bietet zwar kurzweilige Action in einem endzeitlichen Szenario, für den Umfang des Romans jedoch überraschend wenig Handlung. Was verbleibt, sind viele offene Fragen und der diffuse Eindruck mutwillig uminterpretierter Symbolik.

© Rezension: 2017, Wolfgang Brandner

 

Armageddon
Wolfgang Hohlbein
Roman
Piper Verlag - ISBN: 978-3-492-70441-0
2017
Hardcover mit Schutzumschlag, 608 Seiten
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