Rezension: Ein Tag im Sommer | J.L. Carr

by Marcus Kufner
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Im Morgengrauen erreicht ein Zug die Kleinstadt Great Minden, wo an ebendiesem Tag die jährliche Kirmes gefeiert wird. Aber der Bankangestellte und Kriegsveteran Peplow, der sich auch unter den Passagieren befindet, ist aus einem anderen Grund hier: Der Mann, dem er die Schuld am Tod seines Sohnes gibt, ist in der Stadt – und Peplow will Rache. In Great Minden trifft Peplow alte Bekannte und hat neue Begegnungen. Wir begleiten ihn auf seinem Weg durch die Stadt, und nach und nach offenbart sich das Bild eines Ortes, der deutlich von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gezeichnet ist. Die Menschen, die in Great Minden leben, leiden alle auf ihre Weise an der Welt – und doch findet Peplow hier im Angesicht seiner persönlichen Katastrophe neue Hoffnung … [© Text und Cover: Dumont Verlag]

Es ist wirklich ein Gewinn, dass die Bücher des bereits 1992 verstorbenen englischen Autors Joseph Lloyd Carr in deutscher Übersetzung erscheinen. Mir haben schon „Ein Monat auf dem Land” und „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten” richtig gut gefallen. Mit „Ein Tag im Sommer” ist jetzt auch Carrs Debütroman aus dem Jahr 1963 auf Deutsch erhältlich. Den habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Rache ist der Grund dafür, dass Peplow in den Zug steigt und nach Great Minden fährt. Er will den Mann zur Rechenschaft ziehen, der seinen zehnjährigen Sohn überfahren hat. Ich kann das verstehen, denn das Gericht hat den Täter freigesprochen, was der dann erst mal fröhlich gefeiert hat. Für Peplow brach damals die Welt zusammen. Den Tod seines Jungen hat er nicht überwunden und seine Ehe ist am Ende. Er muss etwas tun. Er ist fest entschlossen, den Täter umzubringen. Wird er das tatsächlich durchziehen? Das ist die spannende Frage, die sich durch das Buch zieht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit der Ankunft von Peplow in Great Minden lernen wir einige der Bewohner kennen. Typisch für eine Kleinstadt kennt hier jeder jeden, und jeder wird von jedem beobachtet. Es ist sehr vergnüglich, den mehr oder weniger gut gehüteten Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Carr beweist sich schon in seinem Debütroman als ausgezeichneter Beobachter. Seine Darsteller erreichen zwar nicht ganz den Charme seiner späteren Romane, es ist aber äußerst kurzweilig, zu verfolgen, wie sie voller Hoffnung ihre Ziele und Träume verfolgen oder ihre Verzweiflung zu verbergen versuchen. Gerade Peplow und seine ehemaligen Kameraden haben mit den Geistern der Vergangenheit zu kämpfen. Wie im echten Leben geht die Geschichte auch nicht für alle Beteiligten gut aus und lässt mich mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück.

„In der Schule schauten die Schüler ihre Lehrer unbeteiligt an, blendeten die gereizten oder auch wohlmeinenden Anweisungen aus und lauschten stattdessen dem aufregenden Hämmern und Sägen, das jenseits der Milchglasfenster vor sich ging, während sie in Gedanken die staubtrockene Ebene der Arithmetik hinter sich ließen und zu den magischen Wäldern des Jahrmarkts davoneilten.” (S. 67)

Ich habe das Städtchen am Ende des Buchs nur sehr ungern wieder verlassen. Mit seiner Sprache fängt Carr die Atmosphäre dieses heißen Sommertages wunderbar ein. Von Anfang an kribbelt es bei allen, denn in dieser ländlichen Gegend ist der Tag der Kirchweih etwas Besonderes. Und diesen schicksalhaften Tag werden die Einwohner von Great Minden sicher nicht so bald vergessen. Und ich auch nicht.

 

 

Persönliches Fazit

Gut, dass „Ein Tag im Sommer” jetzt auf Deutsch erhältlich ist, denn schon in seinem Debütroman sieht J.L. Carr auf seine besondere Art tief hinein in die Seelen seiner Protagonisten. Mich hat dieser schicksalhafte Tagesausflug in die Kleinstadt jedenfalls sehr gefesselt.

© Rezension: 2018, Marcus Kufner

 

Ein Tag im Sommer
J.L. Carr (Aus dem Englischen von Monika Köpfer)
Roman
Dumont Verlag - ISBN: 9783832198893
2018
gebunden, 304 Seiten
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