Norwegen ist das Gastland der Leipziger Buchmesse 2025 (27. bis 30. März) und präsentiert unter dem Motto Traum im Frühling seine vielfältige Literaturszene. Der Frühling steht dabei für Neubeginn und Veränderung – Themen, die auch in der norwegischen Literatur eine zentrale Rolle spielen. Im Vorfeld der Messe reiste ich mit anderen Kulturschaffenden nach Oslo, um mehr über die norwegische Literatur zu erfahren, Autor*innen zu treffen und einen authentischen Eindruck von Land und Kultur zu gewinnen.
Oslo: Eine Stadt im Zeichen der Literatur
In Oslo ist die Literatur spürbar: Neben den Zitaten , u.a. von Henrik Ibsen, die die Gehwege zieren, gibt es zahlreiche Orte, die an die literarische Geschichte Norwegens erinnern. Ein markanter Ort ist so zum Beispiel das Ibsen Café im Zentrum von Oslo, das dem berühmten Dramatiker gewidmet ist. Hier kann man nicht nur Kaffee trinken, sondern auch in die Atmosphäre eintauchen, die Ibsens Zeit prägte.
Neben Ibsen ist natürlich Knut Hamsun ein wichtiger Name in der literarischen Szene der Stadt. Sein Einfluss auf die moderne Literatur bleibt unbestritten, auch wenn sein politisches Erbe weiterhin kritisch hinterfragt wird. In Oslo, wo Hamsun viele Jahre lebte, begegnet man seinem Werk an verschiedenen Stellen, wobei die Diskussion über den Abstand zwischen seinem künstlerischen Schaffen und seiner Ideologie nach wie vor aktuell ist.
Ein weiteres literarisches Zentrum in Oslo ist das Literaturhaus (Litteraturhuset), ein Treffpunkt für Lesungen, Veranstaltungen und Diskussionen zu Literatur. Hier treffen sich sowohl lokale Autor*innen als auch internationale Gäste, die ihre Werke vorstellen. Das Literaturhaus ist ein lebendiger Ort des literarischen Austauschs und eine Anlaufstelle für alle, die die norwegische Literaturszene kennenlernen möchten.
Auch Sigrid Undset, bekannt für ihre historischen Romane wie die Kristin Lavransdatter-Trilogie, wird in Oslo gewürdigt. Ihre Werke, die tief in der mittelalterlichen norwegischen Geschichte verwurzelt sind, brachten ihr 1928 den Nobelpreis für Literatur ein. Ein Denkmal in Stensparken (Oslo) erinnert an ihre bedeutenden Beiträge zur Literatur und an ihren Platz in der norwegischen Kulturgeschichte.
Empfang im Gyldendal Verlag – Ein literarischer Auftakt
Direkt nach unserer Ankunft wurden wir in den Gyldendal Verlag eingeladen. Gyldendal, einer der bedeutendsten norwegischen Verlage, hat eine lange Geschichte, die bis in die dänische Verlagswelt zurückreicht. Im Innenhof des modernen Verlagsgebäudes, das 2007 von Sverre Fehn entworfen wurde, steht das sogenannte Dänische Haus, das an die Ursprünge des Verlags erinnert. Auch Henrik Ibsen, einer der wichtigsten Dramatiker Norwegens, veröffentlichte viele seiner Werke bei Gyldendal – ein literarisches Erbe, das bis heute nachwirkt.

das „Dänische Haus“ im Gyldendal Verlag in Oslo
Auf diesem Empfang trafen wir direkt einige norwegische Autor*innen, die uns ihre Geschichten präsentierten. Die interessanten Gespräche über Schreibprozesse, Themenwahl und Inspiration machten wahrlich Lust auf die Bücher!
- Kjersti Anfinsen stellte ihr Werk Letzte zärtliche Augenblicke (Septime Verlag) vor, einen tiefgehenden Roman über das Altern und das Loslassen. In diesem berührenden Buch geht es um die Emotionen und Herausforderungen, die das Älterwerden mit sich bringt. Die Autorin beschreibt einfühlsam, wie die Protagonistin mit der Vergänglichkeit des Lebens und dem Prozess des Loslassens umgeht. Ein liebevoller, bitterer und überraschend unterhaltsamer Roman über die Einsamkeit des Daseins, die Liebe und den Tod.
- Lars Mytting sprach über seine Trilogie, die norwegische Geschichte mit poetischer Sprache verbindet. In den drei Romanen – Die Glocke im See, Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund und Astrids Vermächtnis (Insel Verlag) – werden historische Ereignisse und nordische Traditionen in einer eindrucksvollen Erzählweise erzählt. Mytting entführt die Leser in eine Welt aus mystischen Symbolen und dramatischen Wendungen und lässt die nordische Kultur und Geschichte in ihrer ganzen Pracht und Komplexität lebendig werden.
v.l.n.r.: Lars Mytting, Kjersti Anfinsen, Trude Teige, Wencke Mühleisen
- Trude Teige ließ sich für ihre Trilogie Als Großmutter im Regen tanzte, Und Großvater atmete mit den Wellen und Wir sehen uns wieder am Meer (S. Fischer Verlag) von einer gründlichen Recherche zu den historischen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs und deren Auswirkungen auf nachfolgende Generationen inspirieren. Besonders das Thema der Beziehungen zwischen norwegischen Frauen und deutschen Soldaten während der Besatzungszeit war für sie von Interesse, da es lange Zeit wenig thematisiert wurde. Sie tauchte tief in die Geschichten ihrer eigenen Familie und die von Menschen aus der Region ein, um zu verstehen, wie die Erfahrungen der Kriegszeit das Leben und die Geheimnisse derjenigen beeinflussten, die sie überlebten. Diese Recherchen und persönlichen Erzählungen flossen in ihre Romane ein, die eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen und die oft verdrängten Folgen des Krieges aufzeigen.
- Auch Wencke Mühleisen setzte sich in Alles, wovor ich Angst habe, ist schon passiert mit prägenden Erfahrungen auseinander. Ihr Roman beleuchtet die Ängste und Herausforderungen, mit denen Frauen in verschiedenen Lebensphasen konfrontiert sind. Mit schonungsloser Ehrlichkeit und Tiefgang erzählt sie von Verlust, Unsicherheiten und den Erwartungen an Frauen in der Gesellschaft.
Sonnenaufgang am Fjord & ein Besuch in der Nationalbibliothek
Am nächsten Morgen gab es die Möglichkeit für ein besonderes Oslo-Erlebnis: ein Saunagang in den schwimmenden Saunahäusern am Osloer Fjord. Wer wollte, konnte den Sonnenaufgang direkt in der Sauna genießen, während die ersten Strahlen über der Oper aufgingen.

Nationalbibliothek in Oslo

Nationalbibliothek in Oslo
Anschließend besuchten wir die Nationalbibliothek (Nasjonalbiblioteket), eine der bedeutendsten Institutionen Norwegens, die sich der Bewahrung und Pflege des landesweiten literarischen Erbes verschrieben hat. Das beeindruckende Gebäude in Oslo beherbergt eine der umfangreichsten und vielfältigsten Sammlungen norwegischer Literatur. Darunter finden sich nicht nur seltene Manuskripte und historische Dokumente, sondern auch digitale Archive, die einen einzigartigen Zugang zur Literaturgeschichte des Landes ermöglichen. Auch hier trafen wir natürlich wieder einige Autor*innen, die uns ihre Romane aus den verschiedensten Genres präsentierten:
- Simon Stranger begibt sich in Museum der Mörder und Lebensretter (Eichborn Verlag) auf eine packende Reise in ein dunkles Kapitel der norwegischen Geschichte. Der Roman erzählt die Geschichte von Rakel und Jacob Feldmann, einem jüdischen Paar, das 1942 aus Norwegen fliehen wollte, um dem Holocaust zu entkommen. Doch kurz vor der Grenze werden sie von den eigenen Helfern verraten und ermordet. Jahrzehnte später entdeckt Stranger, dass sich das Schicksal dieses Paares auf unerwartete Weise mit dem seiner eigenen Familie verknüpft. Er beleuchtet die Themen Schuld, Versäumnisse und die tiefe Verantwortung, die mit unserer Geschichte einhergeht.
- Nina Lykke stellt in Wir sind nicht hier, um Spaß zu haben (btb Verlag) die Frage, wie wir heute leben und was uns wirklich glücklich macht. Der Roman folgt dem Schriftsteller Knut, dessen Erfolg längst verblasst ist, als er zu einem Literaturfestival eingeladen wird. Doch anstatt Freude über diese Einladung zu empfinden, stellt sich schnell Ernüchterung ein. Nina Lykke zeichnet in ihrem neuen Roman ein scharf beobachtetes, höchst unterhaltsames Porträt einer Gesellschaft, in der alles erlaubt ist – solange man sich an die Regeln hält. Denn jetzt mal ehrlich: Wir sind nicht hier, um Spaß zu haben.
- In Eigentlich bin ich nicht so (Rowohlt Verlag) von Marie Aubert geht es um die inneren Konflikte, die entstehen, wenn persönliche Wünsche und gesellschaftliche sowie familiäre Erwartungen miteinander kollidieren. Aubert beleuchtet die Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen und die schwierigen Entscheidungen, die wir im Leben treffen müssen, stets mit einem Blick für die Komplexität menschlicher Gefühlswelten.
- In Der Aufbruch (btb Verlag) schildert Ingeborg Arvola poetisch und voller Intensität eine junge Frau, die mit den Normen der Gesellschaft hadert und mutig ihren eigenen Weg geht. In einer Welt, geprägt von der nordisch-kargen Landschaft, der Bedeutung des Fischfangs, Gottesgläubigkeit und einer tiefen, von Mystik durchzogenen Verbindung zur Natur.
- Marcus Håkon entführt in Der Ruf der weißen Eule (ars Edition) die Leser*innen in eine magische Welt voller Mythen und Naturverbundenheit. Die junge Protagonistin Embla fühlt sich in der modernen Welt verloren, bis sie eine geheime Schule für Werwesen entdeckt. Dort lernt sie, ihre eigenen Kräfte zu erkennen und zu beherrschen. In den wilden Wäldern Norwegens wird sie mit einer geheimen, alten Welt konfrontiert, die tief mit der Natur und ihren Geheimnissen verbunden ist. Ein Abenteuer über Selbstfindung und die Macht der Natur.

v.l.n.r.: Marcus Håkon, Ingeborg Arvola, Marie Aubert, Simon Stranger. (Nicht im Bild: Nina Lykke)
Nach den wahrlich gelungenen Buchvorstellungen ließen wir den inspirierenden Vormittag bei einem gemeinsamen Lunch in der Cafeteria der Nationalbibliothek ausklingen. In ungezwungener Atmosphäre kamen wir mit den Autor*innen ins Gespräch – über ihre Bücher, ihre Schreibprozesse und die Geschichten, die sie bewegen. Es sind diese Momente, die eine literarische Reise so besonders machen: wenn aus Büchern Gesichter und Stimmen werden, wenn man die Leidenschaft spürt, mit der sie geschrieben wurden.
Die Deichman Bibliothek – Ein moderner Treffpunkt für Literatur und Kultur
Nach dem Vormittag in der Nationalbibliothek nutzten wir das schöne Wetter für einen Spaziergang durch Oslo. Unser Weg führte uns vorbei am Henrik-Ibsen-Museum, dem Osloer Rathaus und der Oper, bevor wir die Deichman Bibliothek erreichten – die größte öffentliche Bibliothek Norwegens.

Deichman Bibliothek Oslo
Die Deichman Bibliothek, deren Geschichte bis ins Jahr 1785 zurückreicht, wurde 2020 in einem modernen Neubau nahe der Oper wiedereröffnet. Das Gebäude beeindruckt durch seine offene, lichtdurchflutete Architektur und bietet viel Raum für Begegnung und Austausch. Breite Treppen, zahlreiche Leseplätze und große Fenster mit Blick auf den Fjord machen sie zu einem Ort, an dem man sich gerne aufhält.
Ich war besonders gespannt auf diesen Besuch, da ich 2019 bereits eine Führung durch den Rohbau mitgemacht hatte. Nun, in den fertigen Räumen, war es faszinierend zu sehen, wie lebendig dieser Ort genutzt wird. Die Deichman Bibliothek ist nicht nur ein Wissensspeicher, sondern auch ein kultureller Treffpunkt – ein gelungener Mix aus Funktionalität und Aufenthaltsqualität.

Oper und MUNCH Museum Oslo
Kunst und Literatur: Ein Besuch im MUNCH-Museum
Danach ging es ins MUNCH-Museum, das 2021 eröffnet wurde und die weltweit größte Sammlung von Edvard Munchs Werken beherbergt. Der berühmte Maler vermachte der Stadt Oslo testamentarisch seinen gesamten künstlerischen Nachlass – rund 26.000 Werke. Das moderne Museum mit seinen dreizehn Stockwerken und weitläufigen Galerien bietet einen beeindruckenden Rahmen für sein Schaffen. Besonders faszinierend war die Präsentation von *Der Schrei*, das in mehreren Versionen existiert. Um die empfindlichen Gemälde bestmöglich zu schützen, werden sie in einer Rotunde nur für jeweils eine Stunde im Rahmen der Dauerausstellung *Edvard Munch Infernal* gezeigt.
Umgeben von so bedeutender Kunst trafen wir auch hier weitere Autor*innen:
- Edvard Hoem stellte Der Heumacher (Urachhaus Verlag) vor, eine poetische Erzählung über das bäuerliche Leben und den Wandel der Traditionen. Der Roman folgt dem Leben des Bauern Knut Hansen Nesje im 19. Jahrhundert in Norwegen und beleuchtet die Herausforderungen und Veränderungen, denen er und seine Familie gegenüberstehen.
- Vigdis Hjorth begeisterte uns mit einer literarischen Performance, die zum Lachen brachte, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas aus den Augen zu verlieren. Sie erzählt in ihrem neuen Roman Wiederholung (S. Fischer Verlag) vom schmerzhaften Kampf einer jungen Frau gegen das Geheimnis einer Familie, vom Ringen um die eigene Wahrheit und davon, dass manche Erinnerung einen so lange heimsucht, bis neues Erkennen möglich ist.
- Maja Lundes Für immer (btb Verlag) thematisiert die plötzliche Pause der Zeit, als niemand mehr stirbt oder geboren wird. Der Roman verfolgt das Leben verschiedener Menschen, die mit dieser neuen Ewigkeit auf ihre eigene Weise umgehen. Lunde reflektiert über unsere Verbindung zur Natur und die menschliche Endlichkeit in einer Geschichte, die Fragen zu Zeit, Verlust und der menschlichen Natur aufwirft.
(Leider versagte hier mein Akku und ich konnte keine Fotos mehr machen.)
Abschied mit Ausblick
Unser Tag endete mit einem gemeinsamen Dinner im Rooftop-Restaurant des MUNCH-Museums, von dem aus wir einen atemberaubenden Blick über das nächtliche Oslo hatten. Während wir über all die Begegnungen und Eindrücke sprachen und uns mit den Autori*innen weiter über Ihre Werke austauschten, wuchs die Vorfreude auf die Leipziger Buchmesse, auf der Norwegen als Gastland seine literarischen Schätze präsentieren wird.
Mit einer langen Liste neuer Bücher und dem Eindruck, in den zwei Tagen schon tief in die Welt der norwegischen Literatur eingetaucht zu sein, reisten wir am nächsten Morgen weiter nach Bergen – doch davon erzähle ich euch im nächsten Beitrag.
Habt ihr schon Bücher norwegischer Autor*innen gelesen?
Welche Geschichten haben euch besonders bewegt?
2025, Alexandra Stiller
Transparenzhinweis: Dieser Beitrag entstand im Zuge einer Pressereise nach Norwegen, zu der ich eingeladen wurde. Der Text spiegelt meine persönlichen Eindrücke wider.
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[…] Norwegen ist das Gastland der Leipziger Buchmesse 2025 (27. bis 30. März) und präsentiert unter dem Motto „Traum im Frühling“ seine vielfältige Literaturszene. Der Frühling symbolisiert dabei Neubeginn und Veränderung – Themen, die auch in der norwegischen Literatur eine zentrale Rolle spielen. Im Vorfeld der Messe reiste ich mit anderen Kulturschaffenden nach Oslo und Bergen, um mehr über die norwegische Literatur zu erfahren, Autor*innen zu treffen und einen authentischen Eindruck von Land und Kultur zu gewinnen. Über unsere Erlebnisse in Oslo habe ich bereits in einem früheren Beitrag berichtet. ( >> Zum Blogpost über Oslo) […]