Ein Ort, an dem Erinnerungen Gestalt annehmen.
In Guiguinto, rund eine Stunde nördlich von Manila, liegt das einzigartige Kreativzentrum Istorya Studios, gegründet von den Künstler:innen Marina Cruz und Rodel Tapaya. Das Wort Istorya kommt aus dem Tagalog (Filipino) und bedeutet im Kern Geschichte – ganz im Sinne von Erzählungen oder auch Narrativen, die sich in Bildern, Büchern und Spielen entfalten.
Istorya Studios ist nicht nur ein Ort des künstlerischen Schaffens, sondern auch ein lebendiger Treffpunkt für Kunst, Literatur und Community. Im Rahmen meiner Reise auf die Philippinen, dem diesjährigen Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse, durfte ich diesen besonderen Ort besuchen:
Marina Cruz und Rodel Tapaya – Partner im Leben und in der Kunst

v.l.n.r: Rodel Tapaya, Alexandra Stiller, Marina Cruz
Sie zählen zu den bedeutendsten Stimmen der philippinischen Gegenwartskunst: Marina Cruz und Rodel Tapaya, Partner im Leben und in der Kunst, mehrfach ausgezeichnet, darunter 2012 mit dem renommierten Thirteen Artists Award. Ihre Arbeiten sind auf internationalen Ausstellungen vertreten – doch im Zentrum ihres Wirkens steht ein tiefes, fast kontemplatives Interesse an Erinnerung, philippinische Identität und kulturellem Erbe.
Marina Cruz: Die Sprache der Stoffe
In Marina Cruz’ Werk wird Erinnerung greifbar. Ihre meist großformatigen Gemälde zeigen Kleidungsstücke aus dem Familienarchiv – Kinderkleider, bestickte Stoffe, gealterte Textilien. Was auf den ersten Blick wie ein rein realistisches Abbild erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine visuelle Reflexion über Zeit, Vergänglichkeit und Bindung.
Die Stoffe erzählen Geschichten: von Träger:innen, von Handarbeit, von Liebe und Verlust. Mit ihrer detailverliebten, fotorealistischen Malweise bewahrt Marina Cruz nicht nur familiäre Spuren, sondern verleiht ihnen eine universelle Dimension. Ihre Bilder sind intime Porträts – ganz ohne Gesichter.
Rodel Tapaya: Mythen im Spiegel der Gegenwart
Rodel Tapayas Werke sind von ganz anderer Kraft – narrativ, dynamisch, vielschichtig. In seinen Gemälden und Installationen verschmelzen alte philippinische Mythen mit heutigen gesellschaftlichen Realitäten. Der Maler greift auf mündlich überlieferte Geschichten zurück – auf Fabeln, Legenden, Volksmärchen – und übersetzt sie in kraftvolle Bildwelten, die von Farbe, Symbolik und Bewegung leben.
Doch Tapayas Werk ist weit mehr als ein Rückgriff auf Tradition, denn in seinen Kompositionen spiegeln sich nicht nur alte Mythen, sondern auch aktuelle Machtverhältnisse, gesellschaftliche Spannungen, Umweltkrisen und politische Konflikte. Seine Kunst ist tief verwurzelt im philippinischen Kontext, gleichzeitig aber offen für globale Diskurse. Sie fordert heraus, stellt Fragen, lädt zum Nachdenken ein – und bleibt dabei vieldeutig.
Istorya Studios, das kreative Herz von Guiguinto
– und ein Ort, der vieles vereint: ein Indie-Verlag, eine kleine, kuratierte Buchhandlung, Galerieflächen mit wechselnden Ausstellungen, ein Café und ein offener Raum für Austausch. Was hier entsteht, geht weit über klassische Kunstproduktion hinaus: Istorya ist ein Raum für kollaboratives Erzählen, für Bildungsprojekte, künstlerische Vermittlung und Community-Arbeit.
Im Café begegneten wir Künstler:innen und Erzähler:innen: Unter anderem die philippinische Künstlerikone Rox Lee, Schöpfer des Kult-Comics Cesar Asar und Pionier des philippinischen Indie-Animationsfilms. Oder Ian Christopher Alfonso, Historiker und Autor, der uns sein Werk Dogs in Philippine History vorstellte – ein ebenso humorvoller wie tiefgründiger Blick auf das Mensch-Tier-Verhältnis in der Geschichte des Landes.

v.l.n.r: Rox Lee, Kristian Cordero, Rodel Tapaya, Marina Cruz, Ian Christopher Alfonso
Bücher, Spiele und Geschichten: Kunst, die bleibt
Im Zentrum von Istorya Studios steht das Erzählen – nicht nur auf der Leinwand, sondern auch in gedruckter Form. Der Verlag veröffentlicht Künstlerbücher, visuelle Erzählungen, Spiele und edukative Publikationen, die philippinische Geschichte und Identität auf vielfältige Weise zugänglich machen.
Zu den Projekten zählen u. a.:
- Tagpo: eine Reihe von Künstlerbüchern mit bildgewaltigen Erzählungen von Marina Cruz, Rodel Tapaya, Archie Oclos und Doktor Karayom.
- Elipsis: Drei Geschichten über das Warten, das Verzeihen und die Suche nach Menschen, die niemals zurückkehren werden – von Ran Manansala and Jose T. Gamboa,
- Patandaan und Sangandaan: Spiele, die historische Persönlichkeiten und Ereignisse auf spielerische Weise erlebbar machen – mit großer inhaltlicher Tiefe und Unterstützung durch den Historiker Ambeth Ocampo.
- Die Graphic Novel Die Straßenkatzen von Manila (The Streetcats of Manila) des Streetart-Künstlers und Autors Archie Oclos, die in Deutschland bei CulturBooks erschienen ist, wurde ebenfalls hier verlegt. Und tatsächlich war auch die deutsche Ausgabe vor Ort erhältlich! In den kommenden Tagen werde ich dazu auch einen separaten Beitrag hier auf Buecherkaffee.de schreiben.
- u.v.m.!
Analoges Schreiben im digitalen Rauschen
Im Obergeschoss des Istorya Studios entdeckten wir einen Raum, der sofort in die Vergangenheit katapultiert. Reihen alter, sorgfältig gepflegter Schreibmaschinen stehen dort – mechanische Schönheiten aus vergangenen Zeiten, jede mit ihrer eigenen Geschichte, ihrem eigenen Anschlag. Besucher:innen sind jederzeit eingeladen, Platz zu nehmen, Papier einzuspannen und loszulegen.
Wir taten genau das – setzten uns, hörten dem rhythmischen Klack der Tasten zu und schrieben. Kein Bildschirm, keine Delete-Taste. Schreiben wird hier wieder langsamer, bewusster.
In diesem Raum finden auch regelmäßig Workshops statt, bei denen das analoge Schreiben im Mittelpunkt steht – sei es durch kreative Schreibübungen, poetische Formate oder künstlerische Experimente mit der Schreibmaschine.
Ein Raum für Geschichten – lebendig, inklusiv, transformativ
Was Marina Cruz und Rodel Tapaya mit Istorya Studios geschaffen haben, ist mehr als ein Atelier. Es ist ein lebendiger Raum des Erinnerns, des Experimentierens, des Miteinanders. Ihre Vision reicht über die bildende Kunst hinaus. Sie bauen Brücken zwischen Kunst und Buch, zwischen Erzählung und Gestaltung. Sie schaffen Raum für Themen wie Herkunft, Identität, Körperlichkeit, Geschichte – und bringen diese in Formate, die Menschen jeden Alters erreichen können.
Die Arbeit von Istorya Studios zeigt, was alles möglich wird, wenn man Kunst nicht nur als Produkt versteht, sondern als offenen, lebendigen Prozess. Ein Prozess des Fragens, Verbindens, Erzählens.
Augenblicke aus Istorya
Ehrengastland Philippinen: weiterlesen, weiterhören, weiterschauen
Die Philippinen präsentieren sich als Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse 2025. Wer tiefer eintauchen möchte, findet aktuelle Informationen und Veranstaltungshinweise unter:
🔗 Website: philippinesfrankfurt2025.com
📸 Instagram: @philippinesfrankfurt2025
📘 Facebook: PhilippinesFrankfurt2025
Mehr Artikel zum Philippinen-Reise findet ihr hier:
🔗 https://buecherkaffee.de/tag/gastland-philippinen
Auch auf meiner eigenen Instagram-Seite @alex_coffee_books habe ich viele Eindrücke dieser Reise gesammelt – Bilder und Stories, kurze Notizen, literarische Schnappschüsse. All das findet ihr in den Highlights und im Feed.
2025, © Alexandra Stiller
Photo Credits: © Foto: Mike Liwanag / Photo Courtesy: Philippine Guest of Honour #FBM25
Transparenz: Die Pressereise erfolgte auf Einladung. Organisiert wurde sie als Teil des offiziellen Rahmenprogramms zum Ehrengastauftritt der Philippinen auf der Frankfurter Buchmesse 2025 – in enger Zusammenarbeit mit der National Commission for Culture and the Arts (NCCA), dem National Book Development Board (NBDB) und dem philippinischen Außenministerium.