
„The imagination peoples the air“ – Die Fantasie belebt die Luft
In diesem Jahr weht auf der Frankfurter Buchmesse ein besonderer Wind: warm, lebendig und voller Geschichten. Die Philippinen Ehrengast Frankfurter Buchmesse 2025, ein Archipel aus über siebentausend Inseln, das seine literarischen Stimmen nun nach Frankfurt trägt. Unter dem Motto „The imagination peoples the air“, inspiriert von einem Satz aus Jose Rizals Roman “Noli Me Tangere”, öffnet sich der philippinische Pavillon als Ort der Imagination, der Erinnerung und des gemeinsamen Atemholens zwischen Wort und Welt.
Es lohnt sich, dort vorbeizuschauen, denn im Ehrengast-Pavillon gibt es viel zu entdecken: über 500 Bücher, darunter zahlreiche deutsche Übersetzungen philippinischer Autor*innen, die hier erstmals vorgestellt werden. In Lesungen, Gesprächen und Performances begegnen sich Sprache und Klang, Tradition und Gegenwart. Philippinische Literatur, das ist ein Stimmengeflecht aus Mythen und Moderne, aus Widerstand, Träumen und poetischer Wucht.
Ich tauche gerade tief in diese literarische Welt ein, lese mich von Insel zu Insel, von Stimme zu Stimme. In den kommenden Wochen möchte ich euch hier auf Bücherkaffee.de einige dieser Bücher vorstellen – als kleinen Vorgeschmack auf die Buchmesse gibt es hier schon einmal ein paar Buchtipps, kurz und knapp – sozusagen Buchtipps to go.

José Rizal – Noli me tangere
Insel Verlag / Suhrkamp
Übersetzung: Annemarie del Cueto-Mörth
Ende des 19. Jahrhunderts kehrt der junge Ibarra voller Idealismus aus Europa auf die Philippinen zurück – entschlossen, seinem von Spanien kolonisierten Land Hoffnung und Bildung zu bringen. Doch seine Vision von Erneuerung zerschellt an Korruption, Machtmissbrauch und religiöser Unterdrückung. Sein Glaube an Fortschritt und Menschlichkeit wird auf eine harte Probe gestellt. Und selbst seine Liebe zu María Clara gerät in den Sog von Intrigen und Gewalt.
Ein revolutionärer Widerstandsroman und eines der frühesten literarischen Zeugnisse der Kritik am spanischen Kolonialismus. José Rizal bezahlte seinen Mut mit dem Leben – und wurde zum Nationalhelden und Märtyrer der Philippinen.
Katrina Tuvera – Die Kollaborateure
Wagenbach Verlag
Übersetzung: Jan Karsten
Am Krankenbett blickt Carlos Armando auf ein Leben voller Widersprüche zurück, geprägt von politischen Umbrüchen, moralischen Kompromissen und verpassten Idealen. Während im Land ein Präsident vor dem Sturz steht, kämpft er mit seinen eigenen Erinnerungen: an Kindheit und Krieg, an die Unabhängigkeit der Philippinen, an Marcos’ Diktatur – und an die Entscheidungen, die ihn zu einem Mitläufer machten.
In “Die Kollaborateure” zeichnet Katrina Tuvera das fein nuancierte Porträt eines Mannes und einer Nation, die zwischen Loyalität und Verrat, Anpassung und Widerstand gefangen sind. Ein kluger, tiefgründiger Roman über Verantwortung, Schuld und die leisen Folgen politischer Komplizenschaft.
Blaise Campo Gacoscos – Der Junge aus Ilocos
ALBINO Verlag
Übersetzung: Andreas Diesel
Die Ilocos-Region im Nordwesten der Philippinen – ein Ort voller Gegensätze zwischen Tradition und Moderne, Glauben und Überlebenskunst. Hier wächst Victor auf, in einfachen Verhältnissen am Quinarayan-Fluss, zerrissen zwischen familiärer Geborgenheit, Armut und dem frühen Bewusstsein seiner Homosexualität.
Blaise Campo Gacoscos begleitet Victor vom Dorf in die Metropole Manila, durch Höhen und Tiefen eines Lebens auf der Suche nach Identität, Liebe und Zugehörigkeit. Am Ende kehrt er zurück nach Ilocos, wo alles begann und wo Widersprüche bleiben, selbst wenn sich Kreise schließen. Ein leiser, eindringlicher Roman über Herkunft, Selbstfindung und die Kraft des Loslassens.

Archie Oclos – Die Straßenkatzen von Manila
CulturBooks
Übersetzung: Jan Karsten
Manchmal braucht es nur wenige Worte, um eine ganze Welt zu öffnen. Archie Oclos beweist dies mit seiner eindringlichen Graphic Novel „Die Straßenkatzen von Manila“.
Sechs Katzen begleiten wir durch den brodelnden Moloch der philippinischen Hauptstadt. Jede ein leises, kraftvolles Symbol für das Leben der einfachen Menschen, für Armut, Würde, Hoffnung und Überleben.
Und immer sind es drei Worte pro Seite, die die jeweilige Szene strukturieren: Schlaglichtartig beschreiben sie Atmosphäre, Emotion, Bewegung. Ein besonderes Buch, das leise erzählt und dennoch laut nachwirkt. Eine stille Hommage an jene, die im Alltag oft übersehen werden.
Daryll Delgado – Überreste
Kröner Verlag
Übersetzung: Gabriele Haefs
Nach zwanzig Jahren kehrt Ann als NGO in ihre Heimatstadt Tacloban zurück, dorthin, wo der Supertaifun Haiyan alles verwüstet hat. Zwischen den Trümmern sucht sie nach Spuren der Vergangenheit und stößt auf alte Wunden: Kindheitserinnerungen, ein düsteres Familiengeheimnis und Geschichten von einer unheimlichen Bestie, die einst ihr Leben überschattete.
Inmitten der Zerstörung begegnet sie den Stimmen der Überlebenden, die von Verlust, Schmerz und Hoffnung erzählen. Daryll Delgado verwebt Fiktion und dokumentarische Zeugnisse zu einem Porträt der philippinischen Gesellschaft. Ein intensiver, poetischer Roman über Erinnerung und Wiederaufbau und über das, was bleibt, wenn fast alles verloren ist.
Jose Dalisay – Last Call Manila
Transit Verlag
Übersetzung: Niko Fröba
Ein Zinksarg trifft in Manila ein – darin die Leiche von Aurora Cabahug, einer philippinischen Arbeitsmigrantin, die in Saudi-Arabien ums Leben kam. Ein Hilfspolizist, der den Sarg in ihre Heimatstadt transportieren soll, kennt den Namen der Frau und wundert sich sehr, denn er hat sie doch gestern erst als Sängerin “Rory” in einer Karaoke-Bar gesehen…
Was als rätselhafter Todesfall beginnt, wird zur eindringlichen Spurensuche nach Wahrheit, Identität und Überleben. José Dalisay entwirft ein bewegendes Panorama der philippinischen Gesellschaft, geprägt von Arbeitsmigration, familiärer Verbundenheit und dem ständigen Spagat zwischen Hoffnung und Entwürdigung. Ein Roman über Menschen, die fern ihrer Heimat leben, um sie am Leben zu erhalten.

Candy Gourlay – Wild Song
Rotfuchs / Fischer-Sauerländer
Übersetzung: Alexandra Rak
Die 16-jährige Luki wächst in den Bergen der Philippinen auf – wild, mutig und fest entschlossen, Kriegerin zu werden. Doch Traditionen engen sie ein: Mädchen dürfen nicht jagen und ihr ist bereits eine Heirat bestimmt. Als sich die Gelegenheit bietet, mit einer Delegation zur Weltausstellung nach St. Louis zu reisen, sieht Luki ihre Chance auf Freiheit. Doch was als Aufbruch in die „Neue Welt“ beginnt, wird zum Albtraum, denn in Amerika werden sie und ihr Volk zur Schau gestellt, eingesperrt wie in einem Menschenzoo.
In Wild Song erzählt Candy Gourlay eine eindringliche Own-Voice-Geschichte über Kolonialismus, Rassismus und Ausbeutung vor dem Hintergrund der Weltausstellung von 1904 in Louisiana.
Jessica Zafra – Ein ziemlich böses Mädchen
Transit Verlag
Übersetzung: Niko Fröba
In Manila prallen Welten aufeinander und mittendrin steht Guada. Ihre Mutter, eine Lehrerin, bessert das Einkommen mit selbstgemachtem Streetfood auf, bis ein wohlhabender Unternehmer sie entdeckt und als Köchin in seine Villa holt. Für Guada öffnet sich eine Welt des Reichtums und der Arroganz, die sie zugleich fasziniert und abstößt.
Je älter sie wird, desto schärfer erkennt sie die Ungerechtigkeiten, die ihr Umfeld prägen: die Selbstzufriedenheit der Wohlhabenden, die Unterwürfigkeit der Armen und das Schweigen derer dazwischen. Schließlich zieht Guada ihre Konsequenzen und verlässt alles, was sie kennt. Jessica Zafra schreibt mit sarkastischem Ton über Klassenunterschiede, weibliche Wut und den Mut, sich einer ungerechten Gesellschaft zu entziehen.
Allan N. Derain – Das Meer der Aswang
Unionsverlag
Übersetzung: Annette Hug
Die Anzeichen sind nicht mehr zu übersehen: Das Mädchen Luklak verwandelt sich in ein Krokodil. Genau genommen in eine Aswang, ein mythisches Wesen der Philippinen. Fasziniert entdeckt Luklak die Kraft ihres neuen Körpers, doch ihr Vater verzweifelt.
Auf der Suche nach einem Heilmittel zieht er durchs Dorf. Er möchte bei den Weisen Beistand erbitten, doch als sich ein spanischer Pater, ein Affe in einer roten Hose und ein Haufen Seelenvögel einmischen, gerät das Unterfangen außer Kontrolle.
Allan Derain erzählt von Geisterwesen, Mythen und Legenden, von eifrigen Priestern und Kolonialherren, von Vater und Tochter und dem erstaunlichen Weg eines mutigen Mädchens.
Ehrengastland Philippinen: weiterlesen, weiterhören, weiterschauen
Die Philippinen präsentieren sich als Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse 2025. Wer tiefer eintauchen möchte, findet aktuelle Informationen und Veranstaltungshinweise unter:
🔗 Website: philippinesfrankfurt2025.com
📸 Instagram: @philippinesfrankfurt2025
📘 Facebook: PhilippinesFrankfurt2025
Mehr Artikel zum Philippinen-Reise findet ihr hier:
🔗 https://buecherkaffee.de/tag/gastland-philippinen
Auch auf meiner eigenen Instagram-Seite @alex_coffee_books habe ich viele Eindrücke dieser Reise gesammelt – Bilder und Stories, kurze Notizen, literarische Schnappschüsse. All das findet ihr in den Highlights und im Feed.
2025, © Alexandra Stiller
Transparenz: Unbezahlte Werbung. Die Bücher wurden mir teilweise von den Verlagen zur Verfügung gestellt
