Rezension: Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind?

by Alexandra Stiller
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Der Brand in Omama’s Haus verändert das ganze Leben von Véro’s Familie, denn Sie müssen sich eingestehen, dass Oma dringend in Behandlung sollte. Sie wird vergesslich, was der Brand eindeutig bewies, bei dem Sie das auf den Herd aufgestellte Essen völlig aus dem Gedächtnis verbannte und statt dessen Rosen schneiden ging. Omama zieht in das Haus ihrer Tochter ein und Véro, ihre Enkelin, muss ihr Zimmer räumen. Zuerst enttäuscht darüber, gewöhnt sie sich doch schnell an die neuen Umstände. Doch Omamas Zustand verschlechtert sich immer mehr. Der Arzt redet von der Alzheimerkrankheit.

Sie räumt nachts die Schränke aus, Besteck und Toilettenpapier hortet sie unter dem Bett, sie telefoniert stundenlang ins Ausland und möchte unbedingt auf dem Schwarzmarkt einkaufen, denn für sie ist immer noch Krieg. Doch die Familie lässt sich nicht erschüttern und stehen Omama trotz aller skurriler Aktivitäten zur Seite und beschäftigen sich mit ihr – und lernen sie dadurch auf eine ganz neue Weise kennen, bekommen plötzlich einen Einblick in das vergangene aufregende Leben der Bénédicte Lavielle

“Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind?”, im französischen Original “Mamie mémoire” wurde 2000 mit dem Prix Chronos, 2001 mit dem Prix des Incorruptibles ausgezeichnet und 2006 als Theaterstück adaptiert. Das erfolgreiche Buch gehört inzwischen sogar zur Pflichtlektüre in den französischen Collèges. Als ich auf diesen Buch aufmerksam wurde, ist mir dieser letzte Satz in der Autoren-Vita gleich ins Auge gefallen und ich wurde neugierig auf die Geschichte. Und nachdem ich dieses Buch zugeschlagen habe, verstehe ich dies sehr gut und finde, dass es sich auch hierzulande sehr gut als Schullektüre eigenen würde.

Hervé Jaouen befasst sich in seinem Jugendroman auf äußerst einfühlsame und liebevolle Weise mit der an sich so schweren Thematik der Alzheimerkrankheit [1]. Er schafft es, das Thema leicht zu verpacken, was unter anderem auch an dem begeisternden und herzlich-ironischen Humor der Erzählerin Véro liegt, die man sofort liebgewinnt. Sie widmet diese Erzählung voll und ganz ihrer Omama, zollt ihr Respekt und stellt ihre eigenen, jugendlich-typischen Sorgen in den Hintergrund. Mal kurz angesprochen, beendet sie dies auch schnell wieder ( “aber lassen wir das!”) und widmet sie sich fast umgehend wieder der Geschichte ihrer Oma. Schnörkellos, ohne zu viel Sentimentalität berichtet sie aus dem plötzlich sehr turbulenten Familienleben – und das auf eine solch erfrischende und auch sehr humorvolle Art und Weise, dass man trotz der Ernsthaftigkeit immer wieder schmunzeln muss.

Und genau dies macht das Buch zu etwas Besonderem! Denn trotz allem macht man sich als Leser seine Gedanken zur Krankheit selbst, zu den Folgen und man wird sehr sensibel für die Thematik. Anhand dieser Geschichte kann man sehr gut sehen, dass man auch auf eine sehr leichte Weise zum Nach- und Mitdenken angeregt werden kann, dass man sich mit dem Thema beschäftigen kann, ohne zu sehr belastet zu werden. Diese liebevolle Geschichte, die der Omama Bénédicte gewidmet wurde, geht dem Leser ans Herz und berührt – das ist sicher. Aber sie legt sich nicht so schwer auf das Herz, wie es manch andere Geschichten dieser Art tun. Und so können sich auch schon junge Leser etwas befreiter und leichter mit dem Thema Alzheimer beschäftigen. Ich denke, sie macht sensibler für das eigene Umfeld. Der ein oder andere kennt bestimmt jemanden, der dieser leider mittlerweile sehr verbreiteten Krankheit verfallen ist und sieht vielleicht manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel.

Die Familie lernt ihre Omama nochmals auf eine ganz neue Weise kennen, und erhält neue Einblicke in deren Vergangenheit, sie finden alte Schätze, alte Liebesbriefe, die der Schlüssel zu Omas Gedächtnis sind und so entsteht Zug um Zug eine Art Biografie über das vergangene Leben. Die Krankheit nimmt Oma mit, aber die Familie lernt trotz allem mehr über sie kennen als in all den Jahren zuvor.

Persönliches Fazit

Mich konnte dieser Roman voll und ganz begeistern. Die Art und Weise, wie der Autor dies schwere Thema an- und verpackt hat, fasziniert mich, denn ich musste beim Lesen viel lachen und habe trotzdem zu keiner Sekunde die Ernsthaftigkeit dieses Buches in Frage gestellt. Der Autor hat es wunderbar geschafft, die Botschaft des Buches ganz subtil an den Leser zu bringen. In Frankreich ist dieses Werk schon zur Schul-Pflichtlektüre geworden – und ich wünsche mir auch hierzulande sehr viel mehr Aufmerksamkeit für dieses tolle Buch! Meine klare Leseempfehlung!
Bisher gibt es leider keine weiteren übersetzen Werke dieses Autors, was ich sehr schade finde, denn ich bin auf Weiteres aus seiner Feder neugierig geworden.

© Rezension: Alexandra Zylenas

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