Rezension | Südlich der Grenze, westlich der Sonne | Haruki Murakami

by Alexandra Stiller
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Eine Liebesgeschichte bekommt ein neues Gewand. Erstmals direkt aus dem Japanischen übersetzt!

Wie eine Halluzination taucht die Kindheitsgeliebte des Barbesitzers Hajima nach Jahrzehnten wieder auf, unfassbar und geheimnisum-woben. Immer an regnerischen Abenden erscheint Shimamoto wie eine verführerische Andeutung aus einer fremden Welt und hebt das Leben des tüchtigen Geschäftmannes und Familienvaters aus den Angeln. ›Südlich der Grenze, westlich der Sonne‹ erzählt mit großer Magie vom Einbruch dämonischer Kräfte in ein Leben – und scheut dabei keine Tabus.

1999 erschien der Roman von Hakuri Murakami in englischer Sprache, wurde aus dem Englischen ein Jahr später ins Deutsche übersetzt und wurde hierzulande unter dem Titel “Gefährliche Geliebte” bekannt. Nun – 13 Jahre später – bekommt dieser Roman des Japaners Murakami ein neues Gewand. Statt “Gefährliche Geliebte” heißt er nun “Südlich der Grenze, westlich der Sonne” – und zeigt nun auf, wieviel eine gute Übersetzung wert ist. Bei einer Übersetzung vom Japanischen ins Englische und von da ins Deutsche, da sind sprachliche Dispute ja schon beinahe vorprogrammiert, da leidet die Eleganz des geschriebenen Wortes. Und so löste “Gefährliche Geliebte” große Spannungen in der Literaturwelt aus und nicht zuletzt führte ein Streit über die Sprache und seine Darstellung der Sexualität sogar zur Auflösung des “Literarischen Quartetts”.
Nun legt die Übersetzerin Ursula Gräfe, die schon viele Werke japanischer Schriftsteller übersetzte, eine vollkommen neue Übersetzung direkt aus dem Japanischen vor und Haruki Murakamis großer Roman erwacht durch diese facettenreichere Übersetzung nun zu neuem Leben.
Wer schon Romane von Murakami gelesen hat, der weiß um seinen leicht kühlen und eher etwas sachlichen Schreibstil – und genau dieser macht nun auch diesen Roman aus.Ich persönlich habe die erste Übersetzung damals nicht gelesen, aber die Kritiken beschimpften die alte Übersetzung als “flapsig” über “lapidar” bis hin zu “banal”. Davon ist hier nichts zu merken. Murakamis Handschrift ist eindeutig erkennbar und der Stil zeigt Tiefe und Charakter.
Erzählt wird diese Liebesgeschichte aus Sicht von Hajime in der ich-Perspektive. Er erzählt rückblickend und arbeitet sich langsam in die Gegenwart vor. Hajime wuchs in den Fünfziger Jahren als Einzelkind in der Nähe von Tokio auf, was zu dieser Zeit eher ungewöhnlich war. Ein Kind ohne Geschwister galt quasi als Rarität. Dies spiegelte sich auch auf sein Verhalten wider. Verwöhnt, etwas egoistisch und eher der schwächliche Typ – Eigenschaften, die sein Leben prägten. Freundschaften schloss er nur schwer, verbrachte seine Zeit lieber mit Lesen und Musik hören. Bis er Shimamoto begegnete. Shimamoto war ebenfalls ein Einzelkind und bald darauf auch seine beste Freundin. Nach der Schule lauschten sie gemeinsam der Musik und Hajime hegte unbekannte Gefühle für sie.
Aber er verlor sie nach einem Umzug jedoch aus den Augen, woran er nicht unschuldig war. Nur vergessen konnte er sie nicht. Hajime hatte natürlich Freundinnen, trottete auf seine Eingangs genannte egoistische Weise durch das Leben, er heiratete sogar und bekam Kinder – und er erfüllte sich den großen Traum eines eigenen Jazzclubs, der sehr erfolgreich wurde. Er war glücklich. Fast. Etwas fehlte. Shimamoto.

“Keine messbare äussere Schönheit war es also, die mich anzog, sondern etwas Absolutes, Verborgenes. Ebenso wie manche Menschen insgeheim Wolkenbrüche, Erdbeben oder Stromausfälle liebten, liebte ich diese verborgene Anziehungskraft, die das andere Geschlecht auf mich ausübte.”

Und dann – viele, viele Jahre später – steht sie plötzlich in seinem Club, taucht auf wie aus dem Nichts. Und seither steht Hajimes Leben auf Kopf. Shimamoto kommt und geht, wie es ihr gefällt, sie bestimmt die Regeln und sie ist sehr geheimnisumwoben, teilt nichts über sich mit und verschwindet auch mal plötzlich auf unbestimmte Zeit. Doch immer wieder taucht sie genauso plötzlich wieder im Club auf, immer an regnerischen Abenden …
Als Leser fragt man sich unwillkürlich, was es mit dieser unnahbaren Shimamoto auf sich hat. Was hat sie zu verbergen, wer ist sie wirklich? Mich faszinierte dieser eher nüchterne Schreibstil ungemein. Es passt so hervorragend zu Hajimes Charakter, zu seiner ganzen Art, seinem Auftreten und seinem durch-das-Leben-schlittern. Hajime nimmt in seiner Erzählung kein Blatt vor den Mund, steht zu seinen Makeln und Fehlern und sieht in seinem Rückblick sein Leben selbst nüchtern an sich vorüberziehen. Nur seine Liebe zu Shimamoto zieht sich beständig durch sein Leben, scheint unendlich zu sein.

Hajime scheint ihr verfallen. Und zum Schluss bleibt eine Frage: was ist Realität, was ist Fiktion und wo verschwimmt die Grenze? Vielleicht westlich der Sonne?

Persönliches Fazit

Murakamis Roman begeisterte mich von den ersten Seiten an und gehört für mich definitiv zu den diesjährigen Lese-Highlights. Ein unvergleichlicher Schreibstil, der durch seine Schlichtheit und seine Kühle trumpft – und doch dieser faszinierenden japanischen Liebesgeschichte das i-Tüpfelchen aufsetzt. Ein Roman über die unendliche Liebe, das Leben selbst, das Vergängliche und das, was bestehen bleibt – und sei es nur in unseren Gedanken. Eine ganz klare Leseempfehlung!

© Rezension: 2013, Alexandra Zylenas

Über den Autor:

Haruki Murakami (jap. 村上 春樹 Murakami Haruki; * 12. Januar 1949 in Kyōto) ist ein japanischer Autor von Romanen und Erzählungen. Sein Stil zeichnet sich durch surrealistische Elemente und Anspielungen auf die Popkultur aus. Obgleich seine Erzählungen in Japan spielen, sind sie durch Vorbilder der westlichen Literatur geprägt. Von Rezensenten wurde Murakami wiederholt zu den populärsten und einflussreichsten japanischen Autoren seiner Generation gezählt.[1][2][3] Seine Bücher erhielten zahlreiche Literaturpreise, wurden in rund 40 Sprachen übersetzt und zum Teil als Filme oder Bühnenstücke adaptiert. Der Autor führte darüber hinaus eine Jazzbar in Tokio, betätigte sich als Übersetzer von amerikanischer Literatur und hatte vier Jahre lang Gastprofessuren an US-amerikanischen Universitäten inne.

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