Rezension | Das Huhn das vom Fliegen träumte | Sun-Mi Hwang

by Alexandra Stiller
...

 

Gelangweilt von ihrem monotonen Dasein, bricht die Legehenne Sprosse eines Tages aus ihrem Gehege aus. Doch das Leben in Freiheit ist viel härter und unbarmherziger, als sie es sich vorgestellt hat. Bis sie in einem verlassenen Nest ein Ei findet und neue Hoffnung schöpft: Die Freiheit birgt nämlich auch das größte Glück.

Die Autorin erzählt in ihrer modern verfassten Fabel [lateinisch fabula, „Geschichte, Erzählung, Sage”]* von und auch aus der Sicht der Legehenne Sprosse. Tierfabeln sind Fabeln, in denen Tiere wie Menschen handeln und menschliche Eigenschaften haben und sie üben in der Regel eine belehrende, augenöffnende Wirkung auf den Leser aus – und gehen zugleich tief ins Herz. Sun-Mi Hwang ist dies mit einer wunderbaren Leichtigkeit gelungen. Schon nach wenigen Seiten war ich mal wieder der Faszination “Fabel” verfallen und habe die Henne Sprosse vollkommen in mein Herz geschlossen.

Sprosse, die der Monotonie ihres Legehennen-Daseins entfliehen möchte, die von Freiheit und einem Leben ohne Maschendrahtzaun vor dem Blick träumt, die einfach nur sehr gerne Mutter sein möchte. Ihren Namen hat sie sich selbst gegeben. Sie wollte nicht einfach nur eine Henne von vielen sein, die stumpfsinnig tagein, tagaus Eier legen, die ihnen dann sofort weggenommen wurden. Nein, Sprosse wollte JEMAND sein, sie wollte zumindest einen Namen haben. Ihr sehnsüchtiger Blick über den Hof blieb immer an einem Baum hängen, der sie zum Träumen animierte – und zuletzt auch für ihren Namen inspirierte: Sprosse

“Es gibt nichts besseres als Sprossen. Sie stehen für etwas Verheißungsvolles.” […] “Sprossen sind auch die Mütter der Blumen, erklärte sie weiter. “Sie atmen, sie widerstehen Wind und Regen, sie speichern das Sonnenlicht, und sie bringen strahlend weiße Blüten hervor. Ohne sie gäbe es keine Bäume. Sprossen sind lebenswichtig.” ~ Zitat Seite 64

Sprosse gelingt tatsächlich die Flucht aus ihrem Käfig und dem eintönigen Leben als Legehenne und sie schöpft Mut und möchte sich hoffnungsvoll den frei bewegenden Tieren auf dem Hof anschließen. Aber hier stößt sie erneut auf Grenzen. Keine Zäune oder Türen – nein, sie wird von den anderen Hoftieren ausgegrenzt, nicht als Teil der Gemeinschaft akzeptiert. Nur die Wildente “Streuner”, ein Einzelgänger, nimmt sich ihrer an, hilft ihr und sie werden zaghaft Freunde.

Doch die vermeintlich wunderbare Freiheit birgt ganz neue und bis dahin unbekannte Gefahren für das Leben. Tapferkeit, Wachsamkeit und Mut sind plötzlich gefragt. Naiv und unbeholfen stolpert Sprosse in ihn neues Leben, aber sie hält an ihren Träumen fest, lässt sich nicht beirren. Ein plötzlicher Fund bringt dann ihre ganze Welt ins Wanken und sie muss sich schnell entscheiden, wie es weitergehen soll. Doch ihr ureigenster Instinkt leitet sie auf den richtigen Weg. Und einmal eingeschlagen, folgt sie diesem beharrlich und kämpft für die Liebe und das Leben.

Persönliches Fazit

Der in Seoul lebenden Autorin Sun-Mi Hwang gelang mit dieser wunderschönen Fabel der internationale Durchbruch. “Das Huhn, das vom Fliegen träumte” wurde mittlerweile in neunzehn Sprachen übersetzt und diente zudem als Vorlage für den Animationsfilm “Liefi. ein Huhn in der Wildnis.” Zehn Jahre auf der Bestseller-Liste Koreas sprechen für sich und ich kann diesen Erfolg mit jeder gelesenen Seite nachvollziehen.

Es geht um Träume und Freiheit, um Liebe und Freundschaft, um Instinkte und Entscheidungen, um Mut und Tapferkeit, um Standhaftigkeit und Zuversicht. Es geht darum, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen – all das verpackt in gerade mal 157 Seiten. Wundervoll einfühlsam, sachte und leicht wie eine (Hühner)Feder kommt dieses schmale Büchlein daher und trifft sofort mitten ins Herz. Ein jeder kann aus Sprosses Leben etwas für sich mitnehmen, kann etwas auf sein eigenes Leben übertragen. Dieses Werk hallt noch lange nach und bleibt im Gedächtnis. Einfach wunderbar …

© Rezension: 2014, Alexandra Zylenas

1 comment

Lust zum stöbern und entdecken?

1 comment

Muttertag 2021 – Burgkirchen liest 9. Mai 2021 - 9:11

[…] Lächeln meiner Mutter von Delphine de Vigan Die Geschenke meiner Mutter von Cecilie Enger Das Huhn, das vom Fliegen träumte von Sun-mi Hwang Club der Töchter von Natasha Fennell, Roisin Ingle Als Mutter verschwand von […]

Reply

Schreibe uns Deine Meinung