Aufgelesen #9 | “Lesegrüße aus Salzburg” [Teil 2]

by Wolfgang Brandner
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AUFGELESEN #9
(Fortsetzung der Kolumne vom 10.11.2015)

Liebe Leserin, liebe Leser

Auch der Abend des 24. Oktober 2015, dem dritten Tag des Salzburger Krimifestivals “Peng” wurde in bewährt kompetenter Weise wieder von Tomas Friedmann, dem Leiter des Literaturhauses eingeleitet. Und auch diesmal wurde der Blutdruck der Zuhörer durch Quizfragen wieder auf jenes Niveau angehoben, das den Autoren volle Aufmerksamkeit gewährleistete.

(Persönliche Anmerkung: Ich konnte dabei von Spezialwissen über Bob Kane und Agatha Christie (siehe Aufgelesen #7) profitieren.)

Zwar stellten die verlosten Mozartkugeln und Bücher eine höchst willkommene Bereicherung dar, andererseits kamen die Vorträge und Anekdoten dem exakten Gegenteil von Langeweile schon gefährlich nahe. Zu den Klängen von Monty Normans James Bond-Theme präsentiert sich das Team der Agenten prominent wie zuvor, um eiskalt-abgeklärt von ihren Einsätzen zu berichten:

Name: Poznanski. Ursula Poznanski.
aktueller Auftrag: Codename “Stimmen
Erscheinung: ein strahlender Sonnenschein auf der Bühne
Einsatzbericht:

Im Gespräch mit Manfred Baumann, selbst kreativer Kopf, berichtet die Autorin von der Ambivalenz ihres Schaffens. Zwei Verlagen verpflichtet, veröffentlicht sie je ein Jugendbuch und einen Thriller für Erwachsene pro Jahr. Für “Stimmen”, einer Geschichte um eine rätselhafte Mordserie in einer psychiatrischen Klinik in Salzburg, kam ihr die lange Tätigkeit als Medizinjournalistin zugute. Obwohl der Ort dabei austauschbar wirkt, empfindet Poznanski durch ein Ferienhaus doch ein Naheverhältnis zur Mozartmetropole. Außerdem wurde die Idee zu “Fünf” dem ersten Teil um das Ermitterduo Beatrice Kaspary und Florin Wenninger hier geboren. Die Recherchen stellen somit einen willkommenen Vorwand zum regelmäßigen Besuch der Stadt dar. Allerdings bleibt eine Frage unbeantwortet: Warum liest Ursula Poznasnki die Hörbuchversionen ihrer Romane nicht selbst? Immerhin ist ihre angenehm tiefe Vorlesestimme geradezu prädestiniert für dieses Medium …

 

Name: Baumann. Manfred Baumann.
aktueller Auftrag: Codename “Mozartkugelkomplott
Erscheinung: energiegeladener Wirbelwind
Einsatzbericht:

Als wahrer Doppelagent erweist sich der Journalist und Kabarettist. Gerade noch als Moderator für Ursula Poznanski im Einsatz, steht er nun selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sein aktueller Roman handelt von vergifteten Mozartkugeln, den Auftakt bildet ein spektakulärer Mord in Mozarts Geburtshaus in der Getreidegasse. Grund genug also, dem Publikum die Geschichte der marzipangefüllten Süßigkeit zu vermitteln. 1890 von Paul Fürst kreiert, ist die Vielfalt inzwischen auf 30 Sorten angewachsen. Dennoch ist die Bezeichnung “original” der Traditionskonditorei Fürst vorbehalten, jene unter der Marke Mirabell firmierenden, sind als “echte” Mozartkugeln bekannt. Im Gegensatz zum Roman der Vorgängerin auf der Bühne, kann die Geschichte Baumanns nur in Salzburg spielen, das Ambiente, einzelne Straßenzüge und Häuserfassaden sind exakt charakterisiert. (Anmerkung: Die verlosten Mozartkugeln wiesen übrigens nicht die im Buch beschriebene letale Wirkung auf, diese Bericht hätte ansonsten nicht verfasst werden können.)

Name: Gruber. Andreas Gruber
aktueller Auftrag: Codename “Racheherbst
Erscheinung: trügerisch harmloser biederer Familienvorstand.
Einsatzbericht:

Mit prüfendem Blick ins Publikum erinnert sich der Autor an seinen ersten Besuch im Salzburger Literaturhaus, als er vor einem einzigen (!) Zuhörer tapfer seine Texte präsentierte. Erleichtertes Aufatmen aus vielen Kehlen und mehrstimmige Ausdrücke von Begeisterung erntet er, als er angibt, inzwischen all seine Arbeitszeit dem Schreiben zu widmen. Immerhin ist er in der Lage, mit dem Einkommen fünf Katzen zu versorgen. Die permanente Veränderung, der Wechsel einerseits der Handlungsorte zwischen Österreich und Deutschland und andererseits zwischen verschiedenen Ermittlerteams, sei für ihn ein Selbstschutz vor Langeweile. Auch, wenn er mittlerweile auf eine Gesamtauflage von 500.000 verweisen kann, verübt er oft heimtückische Anschläge auf Buchhandlungen: Er gibt sich als Autor zu erkennen und bietet an, einige Exemplare zu signieren, denn signierte Bücher können nicht mehr an den Verlag retourniert werden.

Name: Starr. Jason Starr.
aktueller Auftrag: Codename “Phantasien
Erscheinung: mangels Anwesenheit ein Ganz-geheim-Agent
Einsatzbericht:

Wie der Leiter des Literaturhauses mit großem Bedauern berichtet, konnte der Autor seinen Flug in New York nicht erreichen und daher nicht zur Veranstaltung erscheinen. Nichtsdestotrotz übernehmen es er und der Schauspieler Peter Abt, die Neugier auf den Roman kunstvoll zu schüren. Dem Werk vorangestellt ist ein Zitat von Raymond Carver: “Träume sind das, woraus man erwacht.” Wohl gewählt, denn um Idealvorstellungen von Beziehungen und sexuelle Phantasien dreht sich die Geschichte. Das Erwachen daraus ist erwartet ruppig. Mark Bermann, ein Vertreter der New Yorker Upper Class und somit eine für Jason Starr typische Figur, träumt von erotischen Momenten mit der Nachbarin, während seine Frau ihr tatsächliches Verhältnis mit einem Achtzehnjährigen geheimzuhalten versucht. Mit Andeutungen gepflastert, führt der Weg schließlich zum Point of no return, wo die Emotionen explodieren und die Zahl der Leichen steigt …

Name: Naber. Sabine Naber.
aktueller Auftrag: Codename “Schwalbentod
Erscheinung: hochintelligente Hobbysportlerin.
Einsatzbericht:

Die fußballbegeisterte Autorin stellt ihr Werk als “Aufklärungsbuch für Nicht-Fußballfans” vor. Mit kritischem Blick, geschärft durch Studien der Theaterwissenschaften, Germanistik, Geschichte und Philosophie, sucht sie anhand eines kleinen österreichischen Lokalklubs die Verstrickungen zwischen Fußball, Weltpolitik und Wirtschaft zu entwirren. Ihre Recherchen bei den Rapid-Ultras, einer Gruppierung von Fans eines erfolgreichen österreichischen Vereins, brachten die Autorin an die Grenzen der Belastbarkeit. Einen Besuch im Stadion mit anschließender Nachbesprechung konnte sie nur unbeschadet überstehen, da sie durch ihr Studentenleben ausreichend bier- und nachtlebenerprobt war. Eine authentische Kostprobe des rauhen, nichtsdestotrotz freundschaftlichen Stammtischgesprächstons läßt so manchen Zuhörer mit der Schamesröte kämpfen.
Vielen Dank dem Veranstalter, dem Salzburger Literaturhaus, den kompetenten, humorvollen und schlagfertigen Moderatoren für zwei kurzweilige Abende voller blutiger Geschichten, analytischer Betrachtungen vielschichter Persönlichkeiten und kugelförmiger Köstlichkeiten. Ein besonderer Dank gilt auch den Autoren, die trotz des Andrangs ihrer begeisterten Leser geduldig deren Fragen beantworteten und sich als gemütliche Gesprächspartner erwiesen.

 

 

Nachdem einmal mehr das weite Spektrum raffinierter Kriminalliteratur vermessen worden war, blieb nur mehr eine Frage offen: Unter welchem Motto wird das Krimifest wohl im nächsten Jahr stehen?

Freudiges Weiterlesen!

© Wolfgang Brandner

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