Das ist doch mal eine interessante Idee: Das Leben der Philosophin und politischen Theoretikerin Hanna Arendt in einer Graphic Novel zu erzählen. Gelingt es Ken Krimstein, das in eine passende Form zu bringen? Ich kann gleich vorweg verraten, dass er das ausgesprochen gut hinbekommen hat.
Die junge Hannah traf in der Zeit der Weimarer Republik viele kluge Geister, die Berühmtheit erlangt haben. Mit Albert Einstein, Bert Brecht oder Walter Benjamin ließ sich sicherlich hervorragend diskutieren und nach der einen Wahrheit suchen, von der Arendt so getrieben wurde. Vor allem aber Martin Heidegger, ihr Professor und Geliebter, hatte großen Einfluss auf sie. Eine spannende Zeit in Berlin, die 1933 jäh endet. Viele große Köpfe wurden genötigt, auszuwandern.
Für einen streitbaren Geist mit jüdischer Herkunft war die Machtergreifung durch die Nazis für Hannah ganz schlecht. Nachdem sie verhaftet und verhört wurde, entschloss sie sich ebenfalls, Deutschland zu verlassen. Aber auch in Paris und später in New York fand sie die Kreise, in denen sie sich auf ihrem intellektuellen Niveau austauschen konnte.
In seinem Buch lässt Ken Krimstein Hannah Arendt als Ich-Erzählerin auftreten. Das erhöht die Intensität des Lesens, auch wenn manche Gespräche und Gedanken seiner Interpretation entspringen, da es davon keine wörtlichen Aufzeichnungen gibt. Arendts Lebensgeschichte allein ist schon erzählenswert. Der Autor gibt aber auch einen Einblick in ihre Persönlichkeit und in ihre philosophischen Denkansätze. Das ist in dieser Form natürlich nicht in aller Tiefe möglich, ein guter Ansatz ist das aber allemal.
Anstatt zu denken, was immer auf eine Antwort hinausläuft, praktiziere ich das »Durchdenken«, was neue Fragen aufwirft. (S. 220)
Eine ausdrucksstarke Graphic Novel
Ken Krimsteins Stil zieht mich von Beginn an hinein in Hannah Arendts Leben. Seine reduzierten Zeichnungen tragen die Atmosphäre und die Perönlichkeiten hervorragend. Oft überschreitet er die gewohnten Rahmen eines Cartoons, so wie auch die große Denkerin die ausgetretenen Pfade überschreitet. Das macht es für mich spannend, denn ich weiß nicht, was mich beim Umblättern auf der nächsten Seite erwartet. Vor allem nutzt der Cartoonist damit die Ausdrucksmöglichkeiten einer Graphic Novel sehr gut aus. Das macht er auch durch den minimalistischen Farbeinsatz. Außer der grün kolorierten Hannah bleiben die Zeichnungen schwarz-weiß. Das mag im Vergleich mit manch einer bunten Graphic Novel weniger aufwendig erscheinen, mich hätte eine farbigere Ausgestaltung aber eher irritiert. Durch die verschiedenen Blickwinkel, durch Mimik und Gestik kann ich die Reaktionen der Protagonisten sehr gut nachvollziehen. Das wird durch die Visualisierung ganz besonders verstärkt.
Mein Fazit
Die ungewöhnliche Lebensgeschichte einer ungewöhnlichen Frau in einem ungewöhnlichen Format. Ken Krimsteins Graphic Novel fängt die Lebensumstände der Hannah Arendt sehr atmosphärisch und stilsicher ein und gibt einen inspirierenden Einblick zu ihrer Persönlichkeit und ihrem Denken. Mich hat er damit von Anfang bis Ende sehr gefesselt.
© Rezension: 2019, Marcus Kufner
Weitere Stimmen zum Buch:
Graphic Novel
dtv | ISBN: 978-3-423-28208-6
15.11.2019
Klappenbroschur
244
www.dtv.de