Lichtspiel von Daniel Kehlmann: Ein fesselndes Meisterwerk über Kunst und Macht im Nationalsozialismus

Daniel Kehlmann – Lichtspiel – erschienen bei Rowohlt

Nach den literarischen Höhepunkten „Die Vermessung der Welt“ und „Tyll“ waren meine Erwartungen an Daniel Kehlmanns neuestes Werk “Lichtspiel” hoch. Wird es ihm wieder gelingen, mich zu fesseln? Die Antwort lautet ganz klar: Ja! Denn „Lichtspiel“ ist nicht nur literarisch ein großer Wurf, sondern auch im doppelten Sinne großes Kino.

Georg Wilhelm Pabst: Ein faszinierendes Portrait

In „Lichtspiel“ widmet sich Daniel Kehlmann dem Leben des österreichischen Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst während des Nationalsozialismus. Pabst war mir vorher nur oberflächlich bekannt, aber Kehlmann hat es geschafft, mich von den ersten Seiten an in die Geschichte eintauchen zu lassen. Seine Erzählweise weckte meine Neugier und die Lust, mehr zu recherchieren und zu erfahren. Genau das macht einen Roman über eine reale Person zu etwas Besonderem – wenn ich neugierig werde, (noch) mehr wissen will und Bildmaterial dazu sehen mag.

Die Rückkehr ins nationalsozialistische Deutschland

Eine zentrale Frage im Roman ist, was Pabst dazu bewegt, nach Deutschland zurückzukehren, obwohl er bereits erfolgreich ins amerikanische Exil geflüchtet war. Liegt es daran, dass der Weg zum Erfolg in Hollywood zu steinig war und ihm in Deutschland bessere Chancen geboten werden könnten? Der Film „A Modern Hero“ floppt in Amerika – der Anfang vom Ende.  Aber Pabst hat ein Passion, er will Großes bewirken, will das Lichtspielhaus erstrahlen lassen. Und genau das bietet ihm der Nazi-Propagandaminister:

Bedenken Sie, was ich Ihnen bieten kann“, unterbrach der Minister, „zum Beispiel KZ. Jederzeit. Kein Problem. Aber das meine ich ja gar nicht. Ich meine, bedenken Sie, was ich Ihnen auch bieten kann, nämlich: alles, was Sie wollen. Jedes Budget, jeden Schauspieler. Jeden Film, den Sie machen wollen, können Sie machen.

Verlockung und Gefahr: Der Besuch beim Propagandaminister

Eine besonders bedrückende Szene im Buch ist das, dieser Besuch beim Nazi-Propagandaminister. Diese Szene, die Kehlmann bewusst grotesk darstellt, zeigt eine Maschinerie von Erpressung und Verlockungen. Der Minister bietet Pabst ein verführerisches Angebot: Alles, was er sich wünscht, von jedem Budget bis zu jedem Schauspieler, ist ihm versprochen. Diese Darstellung verdeutlicht die dunkle Seite der Macht und der Manipulation.

Die Familie Pabst im Hintergrund: Herausforderungen und Schatten in „Lichtspiel“

Neben Pabst selbst tritt auch seine Familie, besonders seine Frau Trude und sein Sohn, ins Rampenlicht – jedoch auf eine viel dunklere Weise. Während Pabst im Mittelpunkt des Geschehens steht und sich im Machtspiel der Nazis verstrickt, wird deutlich, wie sehr seine Familie unter diesem Druck leidet.

Trude Pabst, die ihrem Ehemann stets beisteht, sieht sich nicht nur den Herausforderungen des Ruhms gegenüber, sondern muss auch die dunklen Seiten der politischen Verwicklungen ertragen. Ihre Rolle als unterstützende Partnerin wird von der ständigen Unsicherheit und dem erdrückenden Druck der politischen Situation überschattet.

Auch ihr Sohn, der in einem Alter ist, in dem er die Welt um sich herum bewusst erlebt, spürt die Auswirkungen der angespannten politischen Lage und der unvorhersehbaren Entwicklungen. Sein Leben wird durch die Entscheidungen seines Vaters und die politischen Unruhen beeinflusst, was die weitreichenden Konsequenzen der politischen und künstlerischen Ambitionen auf das Familienleben verdeutlicht.

Ihre Erfahrungen verleihen der Geschichte eine tiefere emotionale Dimension und machen die oft übersehenen Auswirkungen der politischen Entscheidungen auf das Leben der Familienmitglieder anschaulich.

Fazit: Daniel Kehlmann liefert mit Lichtspiel ein cinematisches Meisterwerk

„Lichtspiel“ ist ein brillanter, vielschichtiger Roman, der cineastische Perspektivwechsel gekonnt einsetzt, um Themen wie Kunst, Moral, Mitläufertum und Obsession zu beleuchten. Daniel Kehlmann liefert ein eindrucksvolles Werk, das mich erneut gefesselt hat und mich zum Nachdenken anregt. Großes Kino eben.