Verlage im Rampenlicht: Der Verbrecher Verlag

by Jürgen Fottner
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Herzlich willkommen zu unserer Rubrik  Verlage im Rampenlicht. In dieser Reihe stellen wir euch spannende, unabhängige Verlage vor, die mit viel Herzblut und Kreativität die Literaturlandschaft bereichern. Gerade diese kleinen Verlage haben es oft schwer, sich im großen Markt zu behaupten, und verdienen daher unsere besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Heute haben wir die Ehre, den Verbrecher Verlag zu interviewen. Wir freuen uns, einen Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen und mehr über die Menschen und Geschichten zu erfahren, die diesen Verlag einzigartig machen. Viel Spaß beim Lesen!

 

  • Stell dich und den Verlag kurz vor. Wie bist du zur Verlagswelt gekommen? Seit wann gibt es den Verbrecher Verlag?

Verbrecher Verlag - Jörg Sundermeier © Nane Diehl

Jörg Sundermeier © Nane Diehl

Zur Verlagswelt bin ich als Leser gekommen – und ich wollte wissen, wer hinter den Büchern steht, wie Bücher zur Welt    kommen, wer die Programme macht. Das war noch als Teenager. Später, als Studenten, haben wir, mein Freund Werner Labisch und ich, dann den Verbrecher Verlag gegründet, eigentlich aus Jux, wir wollten uns als Verleger ausgeben, da wir noch nicht veröffentlichte Manuskripte lesen wollten, für unser Privatvergnügen.

Wir fragen uns persönlich unbekannte, aber uns sehr wichtige Autor*innen nach Texten, über die wir gelesen hatten, und von denen wir wussten, dass sie nicht so schnell erscheinen würden. Ein Fan-Ding. Ans Verlegen war zunächst gar nicht gedacht, daher auch der zunächst befremdlich klingende Verlagsname. Wir dachten, wenn wir uns so nennen, sind die Leute, die uns ihre Manuskripte anvertrauen, auch ein bisschen selbst schuld. Dann kamen wir aus der Nummer nicht mehr raus, und 1995 erschien Cordula killt Dich von Dietmar Dath, zugleich auch Dietmars Debütroman.

  • Was macht euren Verlag einzigartig? Gibt es einen bestimmten Schwerpunkt oder eine Philosophie, die ihr verfolgt?

Alle Verlage sind ja irgendwie einzigartig. Wir machen Bücher, die wir verlegen wollen, wir schauen da weniger nach den Verkaufschancen, als vielmehr danach, ob uns die Bücher gefallen. Daher lautet unser Verlagsmotto schlicht: „Gute Bücher!“ Das macht uns sicher nicht einzigartig, aber es macht uns verlässlich. Wir sind nicht auf Moden angewiesen. Unsere Bücher werden von den Leser*innen daher oft  als „besonders“ empfunden – das ehrt uns selbstredend sehr.

  • Welche Herausforderungen begegnen einem kleinen und unabhängigen Verlag im Vergleich zu größeren Verlagen bzw. Verlagsgruppen?

Wir müssen mehr aufs Geld achten – und zugleich weniger. Heißt: wir müssen schon einen Umsatz hinbekommen, der uns – zur Zeit 5 Mitarbeiter*innen – das Leben ermöglicht. Es gibt keine großen Reserven, die uns retten könnten oder einen Konzern, der Geld nachschießen würde. Daher gibt es dann schon auch einmal den guten, aber wenig populären Gedichtband, den wir super finden, aber auch nicht mehr machen können, weil klar ist, dass er nicht die nötigen rund 1000 Exemplare verkaufen wird, die wir brauchen, um annähernd wirtschaftlich zu arbeiten. Auf der anderen Seite sind wir aber nicht auf Bestsellerlistenplätze angewiesen oder auf Bücher, die wir eigentlich schlecht finden, deren gute Verkäuflichkeit aber wahrscheinlich ist. Wir müssen uns unsere Bücher nicht schöntrinken, sie sind einfach schön.

Das Verbrecher Verlagsteam © Nane Diehl

Das Verbrecher Verlagsteam © Nane Diehl

  • Welche Maßnahmen aus der Politik und den Branchenverbänden sind aus Deiner Sicht sinnvoll und vor allem notwendig?

Strukturelle Verlagsförderung ist sicherlich eine wichtige und richtige Maßnahme, wichtiger noch sind allerdings Investitionen in Bildung und öffentliche Zugänge zu Literatur wie sie Bibliotheken bieten, bestenfalls schon im Kindergarten oder in der Schule. Denn erstmal muss ein Mensch neugierig werden, bevor er dann immer weiter Bücher kaufen will (was dann den Verlagen hilft). Und für diese Neugierde braucht es Anreize. Dass die Regierung jetzt gerade an der Bildung spart, ist sehr bedauerlich – und wird lang nachwirken.

  • Gibt es ein Buch oder eine Veröffentlichung, auf die du besonders stolz bist? Was macht es so besonders für dich?

Cover: Erich Mühsam - Tagebücher - Verbrecher VerlagNaja, ich finde schon alle Bücher aus unserem Programm toll. Aber sicher war die Veröffentlichung der Tagebücher von Erich Mühsam in 15 Bänden – und in einer hybriden Form aus Papier- und Webausgabe – eine besondere Herausforderung.

Oder die Veröffentlichung des siebenbändigen, 5000 Seiten umfassenden Romans Das Büro von J.J. Voskuil in der Übersetzung von Gerd Busse, an der zuvor ein anderer, durchaus größerer Verlag gescheitert war. Da freut man sich schon sehr, wenn einem das gelungen ist.

  • Wie bzw. nach welchen Kriterien wählt ihr im Verlag die Bücher und Autor*innen aus?

Sprache. Das ist zunächst das Wichtigste. Dann ist natürlich auch das Thema des Buches wichtig, sein Aufbau, seine Originalität, seine Vielschichtigkeit. Wenn die Autor*innen auch noch sympathisch sind, ist es umso besser.

  • Was war bisher der größte Erfolg und die größte Herausforderung in der Geschichte des Verlags?

Der größte Erfolg in finanzieller Hinsicht ist mit dem sehr tollen Roman Schäfchen im Trockenen von Anke StellingCover: Anke Stelling - Schaefchen im Trockenen - Verbrecher Verlag gelungen, der sich – inklusive Taschenbuchausgabe – über 50.000 mal verkauft hat. Die größte Herausforderung war wahrscheinlich die oben erwähnte Ausgabe von Mühsams Tagebüchern, die die Herausgeber Chris Hirte und Conrad Piens hervorragend gestammt haben, letztendlich über Jahrzehnte. Doch ehrlich gesagt, ist jedes Buch, das da gerade kommt, beides zugleich – jedes Erscheinen eines Titels ist ein Erfolg und eine Herausforderung.

  • Wie sieht dein / euer Arbeitsalltag im Verlag aus? Gibt es Aufgaben, die du / ihr besonders gerne machst?

Wir machen alle alles im Verlag, trotzdem sind die Rollen schon ein bisschen verteilt. Am liebsten lektorieren wir alle aber. Wie gesagt – wir lesen unsere Bücher wirklich gern.

  • Wie geht ihr mit dem Wandel in der Verlagsbranche um, insbesondere mit der Digitalisierung und dem E-Book-Markt?

Wir machen mit, selbstverständlich, folgen aber nicht blindlings jedem Hype.

  • Welche Rolle spielt der direkte Kontakt zu den Leser*innen?

Er ist zumeist erfreulich, immer aber lehrreich. Leider haben wir diesen Kontakt viel zu selten, auf Buchmessen und Buchmärkten, auch ein bisschen über Social Media. Es ist aber immer interessant, an Buchständen zu beobachten, was die Leute interessiert.

  • Wie sehr helfen Eurem Verlag die sozialen Medien? Ist das ein echter Mehrwert?

Es hilft, unsere Sichtbarkeit zu erhöhen. Und wir treten dort recht spielerisch auf, das macht Spaß.

  • Hast du einen Tipp für angehende Autor*innen, die gerne bei einem unabhängigen Verlag veröffentlicht werden möchten?

Sie sollten es versuchen. Sie werden vermutlich scheitern. Sie sollten es wieder versuchen. Sie sollten dabei versuchen, um Samuel Beckett zu zitieren, besser zu scheitern. Aber wichtig ist es, zunächst zu schauen, ob das Buch, dass ich anbieten will, überhaupt zum Verlagsprogramm passt.

  • Wie wichtig sind Veranstaltungen wie Buchmessen und Lesungen?

Sehr wichtig für den Kontakt zu den Leser*innen! Sehr wichtig für Feedback! Und für die Autor*innen oft auch eine bedeutende Einnahmequelle.

  • Welche Projekte stehen aktuell an?

Gerade arbeiten wir an unserem Herbstprogramm, da erscheinen demnächst die ersten Titel. Und zu erwarten sind damit und danach, wie gesagt, ausnahmslos: Gute Bücher!

  • Wie siehst du die Zukunft der Buchbranche? Wie können kleine Verlage langfristig bestehen? Was müsste bewegt bzw. geändert werden?

Kleine Verlage wird es immer geben, einige von uns können nur unabhängig publizieren. Doch sicher braucht es mehr Aufmerksamkeit für die Güte von Büchern – und dafür braucht es, siehe oben, Neugierde und eine gescheite Bildungspolitik. Wie die Book Bans in den USA und anderswo zeigen, besitzen gute Bücher offenkundig eine große Kraft, die gerade autoritäre Charaktere sehr fürchten. Diese Kraft können ihre Leser*innen für sich aus den Büchern ziehen, etwa, damit sie nicht an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen zerbrechen.

  • Und jetzt noch eine ganz persönliche Frage von mir, Jürgen: Plant Ihr, noch weitere Texte von Günther Weisenborn neu herauszugeben?

Wir sprechen darüber, aber es ist noch nichts entschieden.

  • Möchtest du unseren Leser*innen noch etwas mit auf den Weg geben? Ein persönliches Statement oder eine kleine Botschaft?

Seid und bleibt neugierig. Und selbstkritisch. Und lasst Euch nicht unterkriegen. Es lässt sich immer Solidarität finden – auch dank der guten Bücher.

 

Es ist immer wieder faszinierend, hinter die Kulissen der Verlagswelt zu blicken. Vielen Dank, dass ihr uns und unseren Leser*innen einen persönlichen Einblick in eure Arbeit gegeben habt. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg und freuen uns darauf, noch viele spannende Bücher aus eurem Verlag entdecken zu dürfen!

Euer Team von Bücherkaffee.de
Verlage im Rampenlicht: Ein Projekt von Alexandra Stiller & Jürgen Fottner

 

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