Drei Fragen an Autor Stefan Treiber

by Jürgen Fottner
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Ich freue mich sehr, Stefan Treiber,  drei Fragen zu seinem Sachbuch “Helden oder Feiglinge -Deserteure der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg” stellen zu können. Vielen Dank für diese Gelegenheit.

Stefan Treiber - Helden oder Feiglinge
Stefan Kurt Treiber, Dr. phil., studierte Betriebswirtschaftslehre, Geschichte und Literatur. Er arbeitet an der KZ-Gedenkstätte Dachau als Rundgangsleiter.

Gab es Rückmeldungen von Anhängern einer der beiden “Extrempositionen”, die sich gegen diese Erkenntnisse in “Helden oder Feiglinge?” gewehrt haben?

Bisher leider noch nicht. Vielleicht liegt das daran, dass mein Buch noch relativ neu ist. Natürlich versuche ich den Bekanntheitsgrad zu steigern. So habe ich allen Historikern und Forschern, die bereits zu dem Thema schrieben (und die ich größtenteils auch in meiner Arbeit zitiert hatte) eine Info über mein Buch geschickt. Eine qualifizierte Rückmeldung habe ich aber bisher noch nicht bekommen.

Stefan Treiber, kennen Sie eine Studie zum Thema Fahnenflucht an der Westfront?
Es wäre gut vorstellbar, dass dort der Anteil höher gewesen ist, da es Flüchtenden als weniger gefährlich erschien, in Gefangenschaft der Westalliierten zu fallen. Bei der Angst vor der Roten Armee hat ja die Propaganda viel erreicht, das schildern Sie ja auch.

In Bezug auf die Vorgehensweise und Auswertungsmethode zum Thema Fahnenflucht ist meine Studie (im wahrsten Sinne des Wortes) „einzigartig“. Es wäre aber definitiv ein spannendes Projekt, in der gleichen Weise an die Westfront heranzugehen. Natürlich haben Sie Recht mit der Annahme, dass die deutschen Soldaten vor einer amerikanischen Gefangenschaft wesentlich weniger Angst hatten (und das Überlaufen daher auch noch verlockender war).

Wobei Überlaufen ja auch im Osten erstaunlicherweise relativ häufig vorkam, trotz der Angst der deutschen Soldaten vor einer Gefangenschaft. Einen anderen Aspekt muss man aber auch berücksichtigen und dass ist der der Entfernung. Ab Sommer 1944 (und danach) an der Westfront war der Weg nach Deutschland kürzer, als von der Ostfront. Oder anders gesagt, von Frankreich nach Deutschland ging‘s schneller, als von Ostpolen oder der Ukraine.

Gibt es eine reelle Chance, in Zukunft doch noch auf Quellen zu stoßen, welche das Thema Fahnenflucht Richtung Roter Armee – egal wie weit diese schon vorgestoßen war – auch für das letzte Kriegsjahr noch etwas zu fassen zu bekommen?

Das Kriegsjahr 1945 stellt Forscher vor zwei Probleme. Zum einen waren in den letzten Kriegsmonaten sehr viele „fliegende Standgerichte“ unterwegs, die „kurzen Prozess“ machten, und Tausende echte oder vermeintliche Deserteure hinrichteten. Darüber gibt es keine Unterlagen, d.h. das wird immer eine Dunkelziffer bleiben. Die Wehrmachtjustiz der einzelnen Divisionen hatte, so lange die Einheit bestand hatte, diszipliniert weitergearbeitet.

Man hat Formulare ausgefüllt, Berichte geschrieben, vieles in Einzelheiten und detailliert. Im Dunkeln liegt bisher, wie viele der Unterlagen, die 1945 nicht selbst vernichtet wurden, der Roten Armee in die Hände gefallen sind. Wenn dem so war, dann wurden sie bestimmt aufgehoben (bspw. für nachrichtendienstliche Auswertungen) und liegen heute noch in Archiven in Russland. Das wäre eine spannende Sache, nach Moskau zu fahren und in diesen Archiven zu stöbern … Aber das wird wohl Wunschdenken bleiben.

Aber dass das nicht so abwegig ist, zeigte die Arbeit des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes in den 90er Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion. Als das politische „Tauwetter“ einsetzte, gab es plötzlich tausende von Meldungen aus russischen Archiven zu deutschen Kriegsgefangenen, deren Schicksal in Deutschland seit Jahrzehnten ungeklärt war.

Interview, 2022 © Jürgen Fottner
Hier geht es zur Besprechung des Buches:

Stefan Kurt Treiber: Helden oder Feiglinge? Deserteure der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg

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