Kooperation | Gastland Portugal
Afonso Cabral schreibt über das Leben ganz am Rande der portugiesischen Gesellschaft
Afonso Reis Cabrals vielschichtiger Roman Aber wir lieben dich basiert auf einem realen Fall, der 2006 Portugal erschütterte. Eine Gruppe von Jugendlichen schlug die obdachlose trans Frau Gisberta Salce Júnior fast zu Tode und warf den noch lebenden Körper in das Wasserloch einer Bauruine. Diese entsetzliche Tat konnte nie ganz aufgeklärt werden und diese Leerstellen füllt Cabral mit einer fiktiven Geschichte, in der ausser Gisberta alle Personen frei erfunden sind. Entstanden ist ein erschütternder Roman über Freundschaft und das Kräftemessen, über Gruppendynamik und Machtwillen, über Armut und Ausgrenzung und vor allem über die Abgründe der menschlichen Natur und die Unfähigkeit zu lieben.
„Ich wollte in diesem Moment auch schwach werden, auch einen Freund haben, der mich umarmte, aber ich wusste, sein Sinn für Bilder aus ruhigeren Zeiten würde uns nun, wo es hart auf hart ging und alles ein Chaos war, gar nichts nützen. Und wie oft geht es nur noch um Chaos und hart auf hart.“
Cabral lässt das Geschehen von Rafael in der ich-perspektive erzählen. Ein Junge, den es in der Gruppe so tatsächlich gegeben haben könnte. Rafa lebt in einem Kinderheim in Porto und genau wie seine Freude kommt er aus zerrütteten Familienverhältnissen. Aber auch das Heim bietet keine Basis, sie werden regelrecht vernachlässigt. Sie sind rebellisch und streifen durch die Gegend, suchen nach „Dreckslöchern“, die sie zu ihrem Reich machen können. Es ist Rafa, der die Bauruine entdeckt, aus der einmal das Einkaufszentrum „Pão de Acúcar“ (Zuckerhut) werden sollte.
Im Keller möchte er seinen Schatz, ein rostiges Fahrrad, verstecken, das er mühselig selbst repariert. Erst kürzlich hat er eine mit Lippenstift geschrieben Botschaft daran entdeckt und ist besorgt um sein Rad. Doch in diesem Keller lebt schon jemand, nämlich die schwerkranke und verwahrloste Gisberta. Rafa ekelt sich, will aber doch helfen – und nach und nach freunden sich die beiden an. Als er seine Freunde einweiht und sie mitbringt, entwickelt sich eine Gruppendynamik, die immer mehr ins Negative abdriftet und schließlich eskaliert. Aus Menschlichkeit wird ein Kräftemessen, aus Wut wächst Aggression und Niedertracht.
Afonso Cabral schreibt über das Leben ganz am Rande der portugiesischen Gesellschaft. Entstanden ist ein komplexer, schmerzlicher und doch einfühliger Roman mit einer unglaublichen Wucht, der offene Wunden sichtbar macht. Absolut lesenswert!
© 2022, Alexandra Stiller
Original Titel: Pão de Açúcar – Übersetzung: Michael Kegler
Blogtransparenz: bezahlte Werbung. Dieser Beitrag ist in honorierter Zusammenarbeit mit Literaturtest / Camões Berlim entstanden.