Alexander Bätz | Nero. Wahnsinn und Wirklichkeit

by Jürgen Fottner
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Alexander Bätz | Nero. Wahnsinn und Wirklichkeit | Rezension buecherkaffee.de

Alexander Bätz | Nero. Wahnsinn und Wirklichkeit || Seit eh und je fasziniert der römische Kaiser Nero (37-68 n. Chr.) die Nachwelt: als Muttermörder und Brandstifter, als Christenverfolger und tyrannisch-exzentrischer Anti-Kaiser, der sich zum Künstler stilisiert. Doch was gibt die antike Überlieferung eigentlich an verbürgtem Wissen über Nero her? Text und Cover © Rowohlt Verlag

Biografien über Personen aus der Antike sind eine besondere Herausforderung

… denn meist ist die Quellenlage dürftig und immer sehr kritisch zu betrachten. Antike Historiker hatten mit ihren Texten (soweit sie eben überhaupt erhalten sind) nicht den Anspruch, eine möglichst große Annäherung an die historische Wirklichkeit darzustellen, sondern verfolgten immer ein bestimmtes Ziel: Die Kritik am römischen Kaisertum als Gegensatz zur Republik, Stereotypen einer Tyrannenbiografie wie Habgier oder im konkreten Fall die Abgrenzung Neros gegenüber anderen Kaisern, vor allem Augustus, sind nur einige bekannte Beispiele.

Diese Zielsetzungen beeinflussten natürlich immer die Darstellung, Einordnung und Bewertung der Person, die der jeweilige Historiker sich vorgenommen hat. Ein Beispiel: Nero soll angeblich einer Vestalin sexuelle Gewalt angetan haben, eines der schlimmsten Vergehen für die Römer. Für Sueton diente das als Teil seiner fundamentalen Kritik an der falschen Religiosität Neros und passte damit für den antiken Historiker genau ins Bild – unabhängig davon, ob es tatsächlich so passierte.

Und wie wenn das nicht schon schwierig genug wäre, haben sich im Laufe der Jahrhunderte gerade zu Nero Bilder entwickelt und eingebrannt, die man schwer aus den Köpfen bekommt. Sind wir mal ehrlich: Wer hat nicht sofort Peter Ustinov in Quo Vadis vor Augen, wie er mit der Harfe in der Hand das brennende Rom besingt? Schauspielerisch ist der Film von 1951 eine Glanzleistung, der zugrundliegende Roman hervorragend, historisch aber beides mehr als fragwürdig.

Was ‚Nero‘ ausmacht, ist seit Jahrhunderten fast ausschließlich der Blick auf ihn durch andere. Das ursprüngliche Objekt der Faszination ist bis zur Unkenntlichkeit verfinstert. S. 34

 

Alexander Bätz | Nero. Wahnsinn und WirklichkeitEine Biografie, die Maßstäbe setzt

Unter diesen Bedingungen eine so großartige Biografie zu schreiben, wie das Alexander Bätz getan hat, ist ein Paradebeispiel für herausragende Geschichtswissenschaft. Das Ziel ist nicht, das negative Bild des Kaisers in ein gutes zu verwandeln:

Es soll vielmehr darum gehen, Nero zu entmythisieren, ihn nüchtern als Akteur seiner Zeit mit ihren Ritualen und Regeln, Traditionen und Werten vorzustellen und dabei die problematische Überlieferungslage nicht aus den Augen zu verlieren.  S. 15

Dabei ist diese Biografie den modernen Aspekten einer Strukturgeschichte verpflichtet, welche eine Person in den äußeren Bedingungen verortet, die sie zum Handeln und zur Anpassung zwingen und nicht mehr die herausragende Stellung einer Einzelperson heraushebt. Gerade auch bei den oben genannten Schwierigkeiten in Bezug auf die antiken Quellen ist Alexander Bätz sehr souverän und wissenschaftlich stark: Er benennt die Zweifel, entkräftet oder relativiert wo nötig und nachweisbar durch genaue Quellenanalyse, Analogien und gesellschaftliche oder politische Einordnungen klassische Stereotypen im Bild Neros, stellt aber eben immer klar heraus, wenn eine eindeutige, abschließende Beurteilung nicht möglich ist. Ein guter Historiker ist eben nicht der, der alles zu erklären versucht, sondern der, der die Grenzen benennt, unbewiesen Behauptetes begründet hinterfragt und klarstellt, was aufgrund der momentanen Quellenlage nicht final beantwortet werden kann.

Vielleicht etwas ungewöhnlich für den strengen Akademiker beginnt Alexander Bätz jedes Kapitel mit einem erzählerischen Einstieg, der zwar auf allgemeinen Kenntnissen der Situation beruht, aber ohne antike Quellen und Einzelbelege auskommt.

Diese Biografie bietet daher durch den strukturgeschichtlichen Ansatz auch einen sehr guten Einblick in die Zeit Neros und damit der frühen Kaiserzeit (Nero war der vierte Nachfolger von Augustus). So erleben wir Lesende auch eines der bekanntesten Beispiele der Verbindung eines Intellektuellen mit einem (tyrannischen) Herrscher:

Mit der Bestellung Senecas als Erzieher Neros begann eines der ungewöhnlichsten, vielversprechendsten und, wie sich schließlich herausstellen sollte, am Ende fruchtlostesten Lehrer-Schüler-Verhältnisse in der Geschichte.  S. 115

Fazit:

Wer auch immer sich für Nero und die frühe römischer Kaiserzeit interessiert, sollte ohne Zögern zu dieser Biografie von Alexander Bätz greifen. Wissenschaftlich und methodisch auf der Höhe der Zeit, dabei spannend zu lesen und nicht einen Moment langweilig ist dieses Buch ein wirkliches Highlight. Und wir müssen deshalb alle Peter Ustinov und den Roman von Henryk Sienkiewicz nicht vergessen – im Gegenteil, mit dem neuen Blickwinkeln bieten beide wahrscheinlich noch mehr Genuss.

© Rezension: 2023, Jürgen Fottner

Blogtransparenz: unbezahlte Werbung; kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag – vielen Dank an den Rowohlt Verlag

 

Nero. Wahnsinn und Wirklichkeit Book Cover Nero. Wahnsinn und Wirklichkeit
Alexander Bätz
Sachbuch / Biografie
Rowohlt Verlag | ISBN 978-3-498-00686-0
2023
Hardcover
575 Seiten
www.rowohlt.de

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