Verlage im Rampenlicht: Der Transit Verlag

by Jürgen Fottner
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Herzlich willkommen zu unserer Rubrik  Verlage im Rampenlicht. In dieser Reihe stellen wir euch spannende, unabhängige Verlage vor, die mit viel Herzblut und Kreativität die Literaturlandschaft bereichern. Gerade diese kleinen Verlage haben es oft schwer, sich im großen Markt zu behaupten, und verdienen daher unsere besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Heute haben wir die Ehre, den Transit Verlag zu interviewen. Wir freuen uns, einen Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen und mehr über die Menschen und Geschichten zu erfahren, die diesen Verlag einzigartig machen. Viel Spaß beim Lesen!

  • Stell euch und den Verlag kurz vor. Wie seid ihr zur Verlagswelt gekommen? Seit wann gibt es den Verlag, und wie viele Bücher erscheinen pro Jahr?

Rainer Nitsche und Gudrun Fröba / Foto: Isolde Ohlbaum

Gegründet tatsächlich am 1. April 1981 in Berlin-Kreuzberg, mitten in einer Gründungswelle von kleinen, »alternativen« Unternehmen (Buchläden, Fahrradläden, freie Schulen, Kinderläden etc), in denen es keine Hierarchien gab, keine Abhängigkeiten von Eigentümern oder Banken, freie, gemeinsam getroffene Entscheidungen.

Wir waren zu zweit (seit einigen Jahren zu dritt). Gudrun Fröba, als ausgebildete Medizinisch-technische Assistentin, später studierte sie noch Kunstgeschichte, kann gut mit Technik umgehen (wir hatten anfangs ein eigenes Fotosatzgerät) und »rutschte« immer mehr in den Verlag als Herstellerin, Grafikerin und Lektorin hinein.

Rainer Nitsche träumte schon während der Schulzeit von Verlagsarbeit, war während seines Studiums in London und Berlin in verschiedenen kleinen und großen Verlagen als Packer, als Auslieferer und schließlich als Lektor oder Herausgeber aktiv – die Verlagsgründung hatte also eine logische Konsequenz.

Von der kaufmännischen Seite des Geschäfts hatten wir keine Ahnung, fingen aber nach dem Motto »Avanti Dilettanti« fröhlich und übrigens sehr erfolgreich an. Damals wie heute veröffentlichen wir 8 bis 10 Bücher pro Jahr.

Transit Verlag - An der Satzmaschine

Transit Verlag – An der Satzmaschine

Transit Verlag - Berlin, Mehringhof

Transit Verlag – Berlin, Mehringhof

 

  • Was macht euren Verlag einzigartig? Gibt es einen bestimmten Schwerpunkt oder eine Philosophie, die ihr verfolgt?

Wir lieben Bücher, die gegen den Strich arbeiten, die ungewöhnliche Themen in einem ungewöhnlichen Stil aufgreifen, die neue Perspektiven oder Horizonte bieten, die von hierzulande eher fremden Kulturen und Gesellschaften erzählen und die traditionellen Grenzen von Belletristik, Sachbuch der Fachbuch sprengen.

Vor allem müssen sie uns persönlich begeistern – und wir hoffen natürlich, dass diese Begeisterung auch die Leserschaft ansteckt. Schwerpunkte sind Romane/ Erzählungen aus Ländern wie Albanien, Rumänien, Island, Norwegen, Brasilien, Suriname, Indonesien oder jetzt aktuell aus den Philippinen. Autobiographien deutscher Juden, überhaupt Bücher zur deutsch-jüdischen Geschichte. Dazu kommen immer wieder Kulturgeschichten und literarische Fundstücke.

Ein auffälliges, fein sortiertes Programm: literarische Fundstücke und Überraschungen (Bea Vianen, Stefan Çapaliku, Tilman Spengler, Óskar Árni Óskarsson, Uwe Johnson, Imre Kertész, F.C. Delius, Dietmar Sous), sprachlich und politisch anspruchsvolle Krimis (Christoph Nix, Gerd Zahner, Manfred Schneider, Jerome P. Schaefer), ungewöhnliche (Auto-)Biographien (Anton de Kom, Peter Wawerzinek, Nicolaus Sombart, Berliner Kindheiten), Kulturgeschichten (Die Schocken Villa, Hannah Höchs Adressbuch, über Ahrenshoop, Der Gute Russentisch, Berlin der 20er Jahre), wichtige Reportagen aus Afrika, Brasilien und Mexiko (Nächtliche Geräusche im Dschungel. Postkoloniale Notizen, Wanderer der Nacht) und kluge, poetische, schön gestaltete Pflanzenbücher.

Made in China - Tilman Spengler

  • Welche Herausforderungen begegnen einem kleinen und unabhängigen Verlag im Vergleich zu größeren Verlagen bzw. Verlagsgruppen?

Viele Herausforderungen sind ähnlich – wir müssen gute Manuskripte, Autorinnen und Autoren finden, die Bücher sorgfältig lektorieren, gut und auffällig ausstatten, für Presseresonanz sorgen und unter die Leute bringen. Wir haben gegenüber den großen Häusern den Vorteil, dass wir schnell entscheiden und reagieren, enge persönliche Bindungen zu Autorinnen/ Autoren aufbauen und auch Buchhandlungen gegenüber persönlich sichtbar sein können. Und wir haben enge Kontakte mit anderen kleineren Verlagen über die Kurt-Wolff-Stiftung oder informelle Verbindungen, d.h. wir können uns gegenseitig mit Informationen zu wichtigen Branchenfragen unterstützen. Wir haben also auch Vorteile.

Große Nachteile entstehen seit etlichen Jahren dadurch, dass die Filialisierung des Buchhandels rasant zunimmt, unsere Möglichkeiten, unsere Bücher sichtbar zu machen, dadurch ebenso rasant abnehmen (die Filialisten kaufen eigentlich nur bei größeren Verlagen ein), dass viele kleinere Buchhandlungen, die unsere Bücher geführt und empfohlen haben, aufgeben, an Filialisten verkaufen oder keine Nachfolger finden. Dazu kommt, dass die Möglichkeiten, die Bücher über Rezensionen in den Medien bekannt zu machen, ebenso rapide sinken, es immer weniger Raum für Rezensionen gibt und meist nur die Bücher von großen Verlagen besprochen werden.

  • Welche Maßnahmen aus der Politik und den Branchenverbänden sind aus eurer Sicht sinnvoll und vor allem notwendig?

Das ist ein weites Feld – beginnend mit dem Sprachunterricht in Kindergärten und Grundschulen, über Leseförderung aller Art, über Förderung von Lesungen, kleineren Buchmessen bis hin zu verschiedenen Programmen zur Förderungen von unabhängigen Buchhandlungen und Verlagen.

Deutschland ist immer noch das Land, in dem es eine große Vielfalt von Verlagen und Buchhandlungen gibt, auf die Kulturpolitiker gerne mit großem Stolz verweisen. Wenn sie was für den Erhalt dieser kulturell wichtigen Vielfalt tun wollen, sollten sie es jetzt tun, bevor es zu spät ist.

  • Gibt es ein Buch oder eine Veröffentlichung, auf die ihr besonders stolz seid?

Natürlich finden wir alle unsere Bücher besonders. Worauf wir zur Zeit sehr stolz sind:

Der aufwendig gestaltete Titel »Jean Paul häppchenweise« mit wunderschönen, witzigen Texten von Jean Paul, und Rezepten, die in seinen Romanen verborgen sind.

Die Erzählung »16:0« von Dietmar Sous, eine verrückte Fußballgeschichte aus längst vergangener Zeit, als Fußball noch als verrufen galt.

Der von Niko Fröba übersetzte Roman »Killing Time in a Warm Place« des philippinischen Autors Jose Dalisay, ein politisch atemberaubender, sprachlich faszinierender Roman über die Philippinen während der Marcos-Diktatur.

  • Was war bisher der größte Erfolg und die größte Herausforderung in der Geschichte des Verlags?

Der größte Erfolg ist eigentlich, dass wir immer noch und guter Dinge als Verlag existieren.

Der größte Bucherfolg war der Roman der katalanischen Autorin Maria Barbal »Wie ein Stein im Geröll«, mit dem wir auf den Bestsellerlisten landeten. Die größte Herausforderung ist konstant: nämlich wie wir mit Beweglichkeit und Phantasie auf die sich verändernden Rahmenbedingungen so reagieren, dass der Verlag nicht untergeht.

  • Wie geht ihr mit dem Wandel in der Verlagsbranche um, insbesondere mit der Digitalisierung und dem E-Book-Markt?

Wir produzieren von vielen unserer Titel E-Books. Die Digitalisierung erleichtert vieles. Aber den großen Wandel hat es dadurch bisher nicht gegeben.

  • Welche Rolle spielt der direkte Kontakt zu den Leser*innen?

Der ist ja von »Natur« aus nicht gegeben – wir verkaufen unsere Bücher ja über den Buchhandel, lernen unsere Leserinnen/ Leser also gar nicht kennen. Aber wir gehen verstärkt auf kleinere Verkaufsmessen (Berlin, Lübeck, Hannover, München, Kassel, Bad Mergentheim etc), wo wir unsere Bücher direkt und persönlich präsentieren und für sie werben – das macht allergrößten Spaß (beiden Seiten offenbar, denn diese Auftritte sind meist sehr erfolgreich).

Transit Verlag auf der Leipziger Buchmesse

Transit Verlag auf der Leipziger Buchmesse

Kleine Verlage am Großen Wannsee 2022

Kleine Verlage am Großen Wannsee 2022

Transit Verlag - Weihnachtsmarkt Berlin Charlottenburg, 2023

Transit Verlag – Weihnachtsmarkt Berlin Charlottenburg, 2023

Transit Verlag - Weihnachtsmarkt Berlin Charlottenburg, 2023

Transit Verlag – Weihnachtsmarkt Berlin Charlottenburg, 2023

  • Wie sehr helfen Eurem Verlag die sozialen Medien? Ist das ein echter Mehrwert?

Wir sind in den sozialen Medien, Facebook und Instagram aktiv, allerdings etwas nachlässig, da diese Medien zeitraubend sind, wenn man es »richtig« macht. Es lässt sich kaum ablesen, ob man damit etwas erreicht, z.B. den Buchverkauf ankurbeln kann. Und das ist, zumindest für uns, frustrierend.

Wer mehr über den Transit Verlag erfahren möchte, kann dies unter folgenden Links tun:

Alle Interviews der Rubrik “Verlage im Rampenlicht” findet ihr hier:

Es ist immer wieder faszinierend, hinter die Kulissen der Verlagswelt zu blicken. Vielen Dank, dass ihr uns und unseren Leser*innen einen persönlichen Einblick in eure Arbeit gegeben habt. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg und freuen uns darauf, noch viele spannende Bücher aus eurem Verlag entdecken zu dürfen!

Euer Team von Bücherkaffee.de
Verlage im Rampenlicht: Ein Projekt von Alexandra Stiller & Jürgen Fottner

 

Impressionen aus dem Transit Verlag

Transit Verlag - Frankfurter Buchmesse 1988

Transit Verlag – Frankfurter Buchmesse 1988

Transit Verlag - Vertretersitzung ca. 1990

Transit Verlag – Vertretersitzung ca. 1990

Transit Verlag - Büro im Mehringhof bis 2009

Transit Verlag – Büro im Mehringhof bis 2009

Transit Verlag - Büro im Mehringhof

Transit Verlag – Büro im Mehringhof bis 2009

2 comments

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2 comments

Markus 3. September 2024 - 19:14

Tolles Interview, klasse Bilder dazu. Eine Zeitreise 😉👍.

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Alexandra Stiller 6. September 2024 - 10:51

Vielen Lieben Dank! Freut uns, dass dir das Interview gefällt!

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