Den »Winter in Maine« erlebt Julius Winsome seit 51 Jahren – zurückgezogen in einer Holzhütte in den Wäldern von Maine. Soziale Kontakte existieren kaum bis gar nicht, seit sein Vater verstarb. Nur sein Hund Hobbes steht im treu zu Seite und ist sein wahrer Freund geworden.
Und auch die 3.282 akkurat von seinem Vater katalogisierten Bücher, die nahezu jede Wand in der Hütte zieren und die ihn durch die harten und kalten Winter begleiten und beschäftigen. Täglich sitzt er im Sessel seines Vaters vor dem Kamin und liest sich durch die in Leder gebundenen Erstausgaben und Taschenbücher, Romane, Reiseberichte, Theaterstücke und Shortstorys. Eine besondere Vorliebe gilt der elisabethanischen Sprache und den Wortschöpfungen von William Shakespeare, mit denen er sich seit seiner Kindheit beschäftigt.
“Die Leute besiegten den Winter, indem sie nächtelang lesen und die Seiten hundertmal schneller umblättern, als ein Tag vergeht, kleine Zahnräder, die während all dieser Monate ein größeres in Bewegung halten.” ~ Seite 100
Julius hat sich mit seiner Lebenssituation arrangiert – schwebt irgendwo zwischen langjährigem Ritual, Genügsamkeit und Depression und bricht auch nicht aus diesem Kreislauf aus. Er hat sich dem Wald angepasst, trainiert seit seiner Kindheit, immer der gleiche Ablauf. Er pflanzt Blumen im Sommer und beschäftigt sich mit seinem Erbe, den Büchern, im rauen und langen Winter.
Doch der nahe Schuss eines Jägers am 30. Oktober verändert alles. Julius einsames, geregeltes Leben gerät aus der Bahn. Der Verlust seines einzigen und wahren Freundes Hobbes verändert ihn, lässt Gedanken frei, die er nie zu denken wagte. Aus der Trauer entwickelt sich Rache. Gedanken an Rache, die seinen Geist nähren und ihn zu grausamen Taten schreiten lassen.
Der Verlust seines Hundes belebt auch seine Gedanken an seine einzige Freundin Claire wieder, die ihn einen schönen Sommer lang auf seiner Hütte besuchte. Sie war es damals, die ihm zu einem Hund riet und dafür sorgte, dass Hobbes bei ihm einzog. Könnte sie nun vielleicht etwas mit seinem Tod zu tun haben? Die Ungewissheit über Hobbes Tod macht ihn nervös und unruhig und entwickelt sich langsam aber beständig zu einer Art Wahnzustand. Ihm fehlt der notwendige soziale Kontakt, er kann sich in seiner Einsamkeit nicht austauschen, nicht darüber reden, seinen inneren Schmerz nicht von der Seele reden.
“Meine Gedanken hüpften aufgeregt auf einem hohen Baum herum und wollten nicht herabkommen, mich nicht lesen lassen, und so sehr ich es auch versuchte – verschiedene Bücher, verschiedene Autoren, warm und kalt -, es drängte mich zur Tür hinaus, ich musste mich bewegen.” ~ Seite 36
Und so ist ich niemand da, der ihn, bzw seine Gedanken der Selbstjustiz stoppen kann und die Dinge nehmen seinen unkontrollierten Lauf …
Ein ruhiger und beherrschter Ton zieht sich durch das Buch und passt sich wunderbar der kalten, etwas düsteren Stimmung der Wälder von Maine an. Der Winter bricht herein und als Leser kann kann man es fast spüren, miterleben. Der Ich-Erzähler Julius lässt uns teilhaben an der Veränderung der Jahreszeit und an der Veränderung seiner eigenen Stimmung, seiner verletzten Psyche. Man muss sich warm anziehen!
Persönliches Fazit
Ein Roman über eine verlorene Liebe, über Trauer, über Einsamkeit und seine Folgen. Mit seinem schon fast poetischen Stil entwickelt dieser Roman eine unglaubliche Sogkraft, die einen mitreißt. Ein Protagonist, der zum Serienkiller avanciert und dennoch auf eine gewisse Art das Herz seines Lesers erobert. Verstörend und zugleich völlig begeisternd! Ein unglaublich beeindruckender und sehr tiefgründiger Roman, ein absolutes Highlight. Meine ganz klare Leseempfehlung – Gerard Donovan hat mich geradezu umgehauen. Ich will mehr!
© Rezension: 2014, Alexandra Zylenas
Roman
btb Verlag | ISBN13: 978-3-442-74759-7
2014 | Geschenkausgabe im kleinen Format, bedrucktes Ganzleinen mit Lesebändchen.
Taschenbuch, Leinen, 288 Seiten