Eine kettenrauchende Kommissarin, deren bevorzuge Feierabendgesellschaft Bier und Schnaps – nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge – in ihrem Stammbeisl darstellt, wann hat es eine solche Figur zuletzt gegeben? Wenn aufgrund des gesellschaftlichen Wertewandels der Tabakkonsum zunehmend den Verbrechern überlassen wird, wirkt Emma Roth wie eine erfrischend anachronistische Figur, die wenig Wert auf politische Korrektheit legt. Dazu wirkt sie mit Batikhemd und hautengen Jeans wie ein bunter Vogel in der “biederen Beamtenwelt”, für eine leitende Staatsbedienstete mit dem Dienstgrad einer Majorin zumindest inadäquat gekleidet.
Bereits mit der Wahl ihrer Hauptfigur verstößt die österreichische Autorin Erika Urban gegen ungeschriebene Regeln der gegenwärtigen Krimiliteratur, wo menschliche Schwächen erlaubt und üblich sind, jedoch mit dem gesellschaftlichen Wertebild konform sein sollen. Wo die Figuren anderer Autoren mit familären Problemen zu kämpfen haben, sind frühmorgendliche Kopfschmerzen und Erinnerungslücken nach einem One-Night-Stand Emma Roths größte Gegner. Gleichzeitig ist sie besonnen genug, um ihre beruflichen Fähigkeiten nicht von privaten Eskapaden beeinträchtigen zu lassen. Auf diese Weise tragen ihre Makel zwar zur Authentizität der Figur bei, erreichen jedoch niemals das Ausmaß jener Krimis, in denen sich finanzell gescheiterte Ermittler mit irreparablen Leberschäden mühsam durch die Handlung schleppen.
“… dieser stinkende Bazar in Ottakring mit all seinen abgeschabten Ständen und den aufdringlichen Marktschreiern, wo man alle naselang auf alten Tomaten ausrutschte oder den Blicken irgendwelcher vulgärer Männer ausgesetzt war.”
Die Autorin beherrscht die Kunst, die Schauplätze ihres Romans den Lesern anhand einer Vielzahl von Eindrücken so lebendig zu vermitteln, daß dieser sich unmittelbar an den Ort des Geschehens versetzt wähnt. Dabei beschränkt sie sich nicht – wie von Kollegen des Genres praktiziert – auf das rein Visuelle, sondern weiß die Phantasie insbesondere mit akustischen und olfaktorischen Reizen zu stimulieren.
“Salzig drang der fischige Geruch des Hafenwassers an ihre Nase, wenn gelegentlich ein kleiner Windhauch über den Vieux Port hinwegstrich.”
Neben dem Wiener Brunnemarkt findet sich auch der Hafen von Marseille als Schauplatz, und auch hier demonstriert die Autorin die Kraft des Buches als Gedankenreisebüro. Die lokalen Spezifika erfüllen exakt ihre Rolle als Kulisse für die Geschichte, werden ebenso beiläufig geschildert, wie ein Geruch die Nase umschmeichelt oder der Schrei einer Möwe kurz vernommen wird. Sie bieten Raum für die Geschichte, ohne diese ersetzen zu wollen.
Dies gelingt vor allem auch durch die hohe sprachliche Kompaktheit. Bereits der erste Satz liest sich, als würde Bachmann-Preisträger Josef Winkler die heimische Hitze-Hymne “Oben Ohne” von Rainhard Fendrich intonieren. Mit einer ungewöhnlichen Dichte an Metaphern konstituiert die Autorin die Wirklichkeit ihres Romans. Mit wenigen wohlgewählten Worten benötigt sie nur wenig Erzählzeit, um einen Ort mit allen Sinnen erfahrbar zu gestalten, Personen zu charakterisieren oder eine beliebige Konstellation von Personen in eine spannungsgeladene Situation zu verwandeln. Gerade, was die Figuren betrifft, arbeitet sie zwar zu Beginn mit Schablonen, um die Akteure rasch im Bewußtsein zu verankern, schärft jedoch die Konturen sukzessive. So lernt etwa der Leser stückweise die persönliche Motivation jenes Kollegen von Emma Roth kennen, der als mißgünstiger Grantler vorgestellt wurde.
Daß die Wahl einer gesellschaftliche geächteten Genußmitteln zusprechenden Hauptfigur aber mehr ist, als ein inszenierter Tabubruch, läßt sich auch aus dem Grundton der Erzählung heraushören. Die Figuren sprechen den Jargon der Wiener Straße, der weder kinderzimmertauglich, noch im gesamten deutschen Sprachraum verständlich ist. Damit grenzt sich die Autorin einerseits gegen eine im Interesse weitestmöglicher Verbreitung reingewaschenen Sprache ab, kommt aber andererseits nicht mit dem Genre des Regionalkrimis in Berührung, in dem Dialektausdrücke oft die schwere Aufgabe übernehmen, den Bezug zum Handlungsort herzustellen. Wenn es so etwas wie einen spezifisch österreichischen Stil gibt, so scheint sich Erika Urban daran zu orientieren. Die Nähe zu Autoren wie Ernst Hinterberger (verantwortlich unter anderem für die Fernsehserien “Ein echter Wiener geht nicht unter” und “Kaisermühlen Blues”) oder auch Wolf Haas (die “Brenner”-Krimis) zeigt sich etwa in einem makabren Humor oder auch in den facettenreich geschilderten Aktivitäten der Hauptfigur auf der Toilette an einem erinnerungslosen Morgen.
Die sehr wienerische Hauptfigur und die erfrischend unangepaßte Erzählsprache werfen eine Frage auf: Hat der legendäre Kottan hier seine Nachfolgerin gefunden?
© Rezension, 2015 Wolfgang Bandner
Krimi
Styria Verlag - ISBN: 9783222135033
2015
broschiert, 176 Seiten