Rezension: Der Löwensucher | Kenneth Bonert

by Marcus Kufner
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1924 flieht die junge Gitelle aus Litauen auf die andere Seite des Erdballs zu ihrem Mann Abel nach Johannesburg. Dort zieht ihr kleiner rothaariger Sohn Isaac im jüdischen Ghetto mit den schwarzen Jungs um die Häuser, während Vater Abel in seiner Uhrmacherwerkstatt mit seinen Freunden der verlorenen Heimat nachweint. Gitelle dagegen arbeitet rigoros an einem Neuanfang und träumt von einem Haus, in dem auch ihre fünf armen, in der alten Welt verbliebenen Schwestern Platz hätten. Als Isaac von der Schule fliegt, sieht sie darin eine Chance für ihn, mit Phantasie und Chuzpe auf der Überholspur erfolgreich zu werden – alles für ihren Traum. Der Junge beginnt als Angestellter einer Umzugsfirma und lernt dabei den schillernden Wundermittelverkäufer Bleshnik kennen, den fürchterlichen Magnus Oberholzer, einen Vertreter der erstarkenden antisemitischen Grauhemden, aber auch die große Liebe. Die allgemeine Weltlage verdüstert sich, und Isaac muss sich entscheiden: Will er wie sein Vater »gefressen« werden oder furchtlos und tough sein wie seine Mutter, die wie eine Löwin für ihre Ziele kämpft? [© Text und Bild: Diogenes Verlag]

 

Isaac hat wirklich nicht die besten Voraussetzungen: rothaarig und segelohrig wächst er im wirtschaftlich schwachen Umfeld auf. Seine Mutter erwartet von ihm jedoch, dass er die Familie in bessere Verhältnisse bringt, und so versucht er alles mögliche, dieses Ziel zu erreichen. Dabei gibt seine Geschichte alles her, was das Leben ausmacht: Hoffnung und Erfolg aber auch Rückschläge und Enttäuschungen. Ich finde es bewundernswert, wie er seine Ziele immer weiterverfolgt, auch wenn er dabei seine Ängste überwinden muss. Dabei ist er aber kein Sonnenschein, er macht auch Fehler und reagiert auch mal unverhältnismäßig. Das macht den Charakter sehr glaubwürdig und interessant.

Schwierig wird es auch, als er sich in Yvonne verliebt. Deren Familie gehört zur Elite in Johannesburg, und dementsprechend sind seine Chancen bei ihr nahezu aussichtslos. Das hält Isaac natürlich nicht auf, und so ist die Beziehung der beiden zueinander für den Autor die Basis, kulturelle und soziale Diskrepanzen aufzunehmen. Es gelingt ihm hervorragend, intelligent und mit viel Feingefühl.

Viel zu lange gab es in Südafrika die Rassentrennung. So ist es für Isaac selbstverständlich, dass die Schwarzen nur für niedere Aufgaben zu gebrauchen sind und in ihren Wellblechsiedlungen in Armut wohnen. Es interessiert ihn erst gar nicht und er begreift daher auch nicht, wie hart der Alltag für sie ist. Es ist für mich durch das Buch gut verständlich, wie das System der Rassentrennung auch durch solche Ignoranz funktioniert.

Besonderen Einfluss auf Isaacs Familie haben die Entwicklungen in Deutschland. Zum einen sind sie besorgt um die Angehörigen zuhause, da die Nazis beginnen, Territorien im Osten zu besetzen. Zum anderen organisieren sich Antisemiten auch in Südafrika. Das bekommt Isaac am eigenen Leib zu spüren. Seine Wut und die Wehrlosigkeit machen mich auch betroffen.

 

Persönliches Fazit

Kaum zu glauben, dass das ein Debütroman ist. Kenneth Bonert lässt das Südafrika der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts glaubhaft, lebendig und detailliert wiederauferstehen. Er bringt die schweren Themen Rassismus, soziale Ausgrenzung und Antisemitismus in Isaacs Geschichte gekonnt unter. Und das mit einem wunderbaren Schreibstil. Ein außergewöhnliches Buch, ich konnte es kaum aus der Hand legen.

© Rezension: 2015, Marcus Kufner

 

Der Löwensucher
Kenneth Bonert (Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer)
Roman
Diogenes Verlag - ISBN: 9783257069235
2015
gebunden, 800 Seiten
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