Rezension: Racheherbst | Andreas Gruber

by Wolfgang Brandner
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Unter einer Leipziger Brücke wird die verstümmelte Leiche einer jungen Frau angespült. Walter Pulaski, zynischer Ermittler bei der Polizei, merkt schnell, dass der Mord an der Prostituierten Natalie bei seinen Kollegen nicht die höchste Priorität genießt. Er recherchiert auf eigene Faust – an seiner Seite Natalies Mutter Mikaela, die um jeden Preis den Tod ihrer Tochter rächen will. Gemeinsam stoßen sie auf die blutige Fährte eines Serienmörders, die sich über Prag und Passau bis nach Wien zieht. Dort hat die junge Anwältin Evelyn Meyers gerade ihren ersten eigenen Fall als Strafverteidigerin übernommen. Es geht um einen brutalen Frauenmord – und eine fatale Fehleinschätzung lässt Evelyn um ein Haar selbst zum nächsten Opfer werden …

[Cover und Text: Goldmann Verlag]

 

 

Der Duft der Vergänglichkeit.

Wie im Erzählstereotyp vom Schüler, der den Meister übertrumpft, von der Kreatur, die sich über ihren Schöpfer erhebt, wird Andreas Gruber zum Opfer einer seiner Romanfiguren. Mit dem kiffenden, misanthropischen Verhaltensanalytiker Maarten S. Sneijder hat er sich einen Geist gerufen, den er nicht mehr loszuwerden imstande ist. Von all den genialen, sympathischen, aber auch traumatisierten Ermittlern, die derzeit zwischen den Buchdeckeln literarische Serienmörder zur Strecke bringen, handelt es sich um eine der originelleren Persönlichkeiten, der Gruber zu einem Teil seinen Erfolg im deutschen Sprachraum verdankt. Seine bisherigen Auftritte absolvierte Sneijder in “Todesfrist” und dem Nachfolger “Todesurteil”. Ungeachtet des Erfolgs entschließt sich Andreas Gruber jedoch, eine Fortsetzung seines 2011 erschienenen Titels “Rachesommer” zu erzählen und prallt damit auf die Erwartungen seiner Leser.

Ohne besagten Publikationskontext wäre “Racheherbst” ein sensationell kurzweiliger Koffeinersatz, so jedoch müssen sich alle Figuren den Vergleich mit Maarten S. Sneijder gefallen lassen – und daran scheitern. Walter Pulaski, Beamter im Kriminaldauerdienst Leipzig, auf dessen Schultern diese Last am schwersten wiegt, wird als ein liebenswerter Griesgram geschildert, blauäugig-naiv im Umgang mit der Mutter eines Mordopfers, schlitzohrig-schlau gegenüber Tatverdächtigen und uniformierten Kollegen. Zudem aus Leipzig stammend, erinnert er auffällig an den Titelhelden der TV-Krimiserie “Stubbe – von Fall zu Fall.” Als eine der tragenden Figuren des Romans verbleibt dieser sächsische Columbo jedoch zu durchschnittlich, kann seine Stärken zu wenig ausspielen. Gegenüber seinem ersten Auftritt in “Rachesommer” hat Pulaski an Farbe verloren. Ähnlich ergeht es seiner an einem ganz anderen Schauplatz agierenden Partnerin Evelyn Meyers, auch sie wirkt im Vergleich zu ihrem ersten Treffen mit dem Leipziger weniger spritzig.

Immerhin setzt der Autor weiterhin auf jene Handlungselemente, die mittlerweile zu seinem Markenzeichen geworden sind. Den Ausgangspunkt seiner Thriller bildet jeweils eine Reihe ebenso grausamer wie bizarrer Ritualmorde, und auch in “Racheherbst” ist der Leser hin- und hergerissen zwischen Staunen ob der Kreativität des Autors und Schaudern ob der Brutalität des Täters. Letztere wird jedoch durch knochentrochenen Humor wieder relativiert, wodurch beruhigenderweise die Fiktionalität der Geschichte betont wird. So antwortet etwa Evelyn Meyers auf die Frage “Sind Sie wirklich Anwältin?” mit einem sarkastischen “Nein, Schuhverkäuferin.”

Weiters setzt Gruber auf zwei parallel verlaufende Handlungsstränge, die einander zunächst gar nicht berühren. Im Wissen, daß der Erzähllogik folgend, diese beiden lediglich unterschiedliche Aspekte desselben aufzuklärenden Falles repräsentieren, wird die Neugier des Lesers geweckt. Diese wird sodann ins Unermeßliche gesteigert, indem die harmonische Vermählung bis zum Finale hinausgezögert wird. Als Trauzeugen fungieren dabei – auch das ist ein Markenzeichen Grubers – ein Protagonistenteam aus Deutschland und eines aus Österreich.

Während nun in “Racheherbst” die beiden Handlungsstränge sich gleichgetaktet nebeneinander entwickeln, tritt in der Motivik der Hauptfiguren eine Spiegelung auf: Sowohl für Pulaski, als auch für Meyers wird die Geschichte durch die Beschäftigung mit einer Klientin, respektive einem Klienten vorangetrieben, in beiden Fällen wird diese so persönlich, daß gegen das jeweilige Berufsethos verstoßen wird. Während die Motive von Pulaskis Begeleitfigur, der Mutter eines Mordopfers, jedoch aufrichtig sind (sie will ihre zweite Tochter aus den Fängern des Mörders befreien), trägt sich der Schönheitschirurg Dr. Konstantin mit unredlichen Absichten. In der erwähnten Spiegelung stehen einander somit selbstloses und selbstsüchtiges Handeln gegenüber.

So harmonisch die einzelnen Handlungselemente letztendlich auch miteinander verwoben und behutsam mit Symbolik verziert sind, irritiert doch der Titel des Romans. Zweifellos ist dem Verlag daran gelegen, die Verbindung zum Vorgängerband herzustellen. Wo das Motiv der Vergeltung in “Rachesommer” jedoch handlungsbestimmend war, kann es hier nur mit viel Phantasie entdeckt werden. Der Titel wirkt somit nicht nur identitätsstiftend für die Reihe, sondern auch verwirrend.

 

Persönliches Fazit:

Obwohl bei “Racheherbst” nicht Maarten S. Sneijder die Ermittlungen führt, vermag der Roman mit routiniertem Spannungsaufbau und origineller Handlung zu fesseln. Könnte man Autoren auf entgangenen Schlaf verklagen, hätte Andreas Gruber eine gute Rechtsschutzversicherung bitter nötig.

© Rezension, 2015 Wolfgang Brandner

 

Racheherbst
Andreas Gruber
Thriller
Goldmann Verlag - ISBN: 9783442482412
2015
Taschenbuch, 512 Seiten
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Ascari Vau 30. September 2015 - 14:13

Hey 🙂

Ich habe das Buch auch gerade gelesen und auf meinem Blog rezensiert, habe darin aber bewusst auf Vergleiche zu Andreas' anderen bzw. früheren Büchern verzichtet. Dass sowohl Pulaski als auch Meyers in diesem Buch eher blass bleiben, hängt wohl mit Mikaela zusammen. Hier merkt man, dass Andreas von dieser Figur so fasziniert war, dass er ihr mehr Platz eingeräumt hat … Egal, trotzdem hat er einen guten Roman geschrieben, der mich einen ganzen Sonntag lang bei der Stange gehalten hat (Ich könnte also höchstens auf entgangenen Tag klagen ^^).

Liebe Grüße
Ascari

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Philly Biblio 30. September 2015 - 18:25

Ich habe gerade “Rachesommer” gelesen, kenne aber ebenfalls “Todesfrist” und “Todesurteil”, würde von einem Vergleich der Figuren aber auch absehen, allein schon, weil Pulaski und Meyers vor Sneijder geschrieben wurden, somit wäre Sneijder für mich eher die Weiterentwicklung, Pulaski erinnert vielleicht zuweilen an Peter Hogart aus den “ganz alten Grubern”. Die Ähnlichkeit der Figurenkonstellation von Pulaski und Meyers zu Sneijer und Nemez fällt dagegen schon auf, und ich fand “Todesfrist” große Klasse, “Rachesommer” hingegen konnte mich nicht so stark begeistern, auch wenn er sich weggelesen hat wie weiche Butter. Daher bin ich mir noch nicht sicher, ob ich “Racheherbst” wirklich dringend lesen mag, aber vermutlich werde ich es aus Neugier auf die Entwicklung ja dann doch irgendwann kaufen! 😉

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WolfgangB 30. September 2015 - 20:24

Hi Ascari Vau!

Kein Zweifel, spannend ist “Racheherbst” auf jeden Fall, obwohl mir persönlich der Sommer fast noch etwas rasanter, um eine Nuance spannender war. Vielleicht liegt das auch an dem Titel, der hier eher gespreizt wirkt und nicht so recht zum Inhalt paßt. Aber das ist wohl dem Zusammenhang geschuldet.
Was Mikaela betrifft, da kann ich Dir nur zustimmen. Diese Figur scheint mit dem Autor durchgegangen zu sein. In einem Film würde man sagen, da hat der Darsteller einer Nebenfigur den Hauptdarsteller an die Wand gespielt 🙂 Aber eine Mutter, die mit allen möglichen legalen und illegalen Mitteln um ihre Tocher kämpft … eine solche Figur hat einfach die Kraft einer wütenden Löwin.

Danke für Deinen Kommentar und liebe Grüße!
Wolfgang

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WolfgangB 30. September 2015 - 20:32

Hallo Philly,

ich muß gestehen, die “ganz alten Gruber” kenne ich leider nicht, somit ist mir auch Peter Hogart nur vom Namen her bekannt. Die Frage, ob ich die Romane noch nachholen soll, ist wohl eine rhetorische, oder? 🙂
Mein erster Gruber – Andreas Gruber – war “Rachesommer”, daher war es für mich keine Frage, auch den Herbst gebührend zu begehen. Andreas Gruber gehört ja zu den wenigen zeitgenössischen österreichischen Autoren, die auch auf dem wichtigen Markt Deutschland reüssieren können, daher sehe ich die deutsch-österreichischen Teams und die Doppelschauplätze als die notwendige Personifizierung dieser beiden Länder. Und – wie in meiner Rezension erwähnt – scheint Gruber hier ja einen Gemeinplatz gefunden zu haben, den er dankbar besetzt.
Was an “Todesfrist” außerdem so besonder ist, das ist meines Erachtens die Orientierung der Morde an einem bekannten Kinderbuch. Wenn Dir dieser Aspekt gefällt, dann solltest Du definitiv zu “Racheherbst” greifen. Zwar geht's nicht um eine populäre Geschichte, sonder um …

… ach was, laß' Dich einfach überraschen 🙂
Viel Vergnügen!

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Rezension zu Racheherbst von Andreas Gruber - angeltearz liest 23. August 2019 - 9:35

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