1998 wird das RAF-Mitglied Martina Müller aus dem Gefängnis entlassen. Nicht nur ihre Tochter Angelika muss sich jetzt mit ihr befassen. Wir lernen auch Opfer ihrer Taten kennen: Alex, Sohn des Chauffeurs eines Politikers, der Ziel einer Terroraktion war, dessen Sohn Michael und Steffen, damals Leibwächter und einziger Überlebender des Anschlags. Wie gehen sie mit dem Geschehenen um? Wie weit belastet sie das, was vor über zwanzig Jahren passiert ist, noch? Oder sinnen sie vielleicht sogar auf Vergeltung?
Immer wieder springen wir zurück in die 70er und begleiten Martina als junge Studentin in eine Zeit, die geprägt ist von Studentenprotesten gegen Kapitalismus oder gegen den Vietnamkrieg. Viele junge Leute wollen sich befreien von den spießigen Regeln der Mächtigen, die sie auch mitverantwortlich machen für die Schrecken der Nazizeit. Martina kommt mit Leuten in Kontakt, die mehr tun wollen als nur zu protestieren. Ich kann damit zwar nachvollziehen, wieso sie sich radikalisiert hat, für ihre Ziele Menschen zu töten kann ich dadurch allerdings nicht verstehen.
Birgt ein Buch über den Terror nicht die Gefahr, dass manch Leser von den Ansichten und Aktionen der Täter fasziniert wird? Ich denke, Tanja Kinkel macht klar, dass die Gewalt der RAF objektiv nicht zu rechtfertigen war und Mord immer menschenverachtend ist. Ich erinnere mich noch an die Fahndungsplakate mit den Fotos der Terroristen, die in meiner Kindheit überall präsent waren. Damals kannte ich die Zusammenhänge nicht, daher ist für mich dieser Roman auch aufklärend und ich kann diesen Teil deutscher Geschichte besser verstehen.
Die Autorin verknüpft gekonnt das Leben der fiktiven Hauptdarsteller mit realen historischen Personen. Dadurch kann sie schwerwiegende Fragen nach Schuld, Reue oder Vergebung stellen, ohne noch Lebenden zu nahe zu treten oder ihnen falsche Ansichten zu unterstellen.
Der Erzählstil ist recht nüchtern, wirkt auf mich etwas unterkühlt und arm an Emotionen. Den größten Teil des Buchs fand ich interessant, ich fragte mich, wo das hinführt, aber mitreißend war das für mich nicht. Bis zum Schluss: es gibt Bücher, deren Wirkung setzt erst am Ende ein, so ging es mir bei „Schlaf der Vernunft”. Die Dramaturgie baut sich ruhig und unaufgeregt auf, als ich das Buch aber durch hatte, hatte es mich doch sehr aufgewühlt!
Persönliches Fazit
Ein spannender Teil der jüngeren deutschen Geschichte. Durch die sorgfältige Recherche und präzisen Beschreibungen verstehe ich einiges über die Geschehnisse damals besser. Und auch wenn es durch den ruhigen Schreibstil lange gedauert hat, am Ende hat es mich doch mitgerissen.
© Rezension: 2016, Marcus Kufner
Roman
Droemer Verlag - ISBN: 9783426199671
2015
gebunden, 448 Seiten
1 comment
Ich mag die Rezenion total. Ich stimme in einigen Punkten toootal zu – besonders zum Thema mit der schnellen 'Liebe'. 😀 Finde ich auch gerade etwas… nervend, abschreckend? Und das im ersten. Ih hab jetzt (seit heute) alle drei Teile bei mir liegen, bin aber im ersten auf den letzten drei Kapiteln.
Ich feier das Buch seeehr. Bin seit Jahren mal wieder richtig vernarrt in ein Buch. <3
Kann dir bei Liv nicht gaz zu stimmen. Vielleicht sehe ich es aber nicht so eng. Keine Ahnung. Vielleicht handelt sie mir etwas zu naiv, das ist das einzige was ich empfinde. Sonst finde ich sie klasse.
Aber besonders Mia und Lotti gefallen mir.
Mir ist das mit der sache um ihre Mutter und dem Verhältnis kar nicht so aufgefallen. Aber du hast absolut recht, es ist total unwichtig – also es erscheint so. Aber das ist fast erschreckend, denn es ist mega krass… das Verhältnis. Auch wenn 'krass' jetzt schlimm und heftig klingt. 🙂
Ich selber muss gestehen, dass ich kein Fan von Henry bin. 🙁 Ich mag jemand anderen der Blondinen VIEL lieber! <3
Mega tolles Review. Werde mir die Seite mal saven!
LG
Mona