Guylain lebt ein unscheinbares Leben. Er geht täglich zur Arbeit, plagt sich mit seinem unangenehmen Kollegen und dem cholerischen Chef herum, bis er abends müde zu seinem Goldfisch nach Hause kommt. Die meisten würden wohl sagen, dass er verrückt ist, wenn er im Zug anfängt vorzulesen. Es macht ihn zu einem skurrilen Außenseiter, der mir aber schnell sehr sympathisch wird. Und schließlich warten die Mitfahrer in seinem Waggon darauf, dass er die Seiten herausholt und anfängt. Die Charaktere sind die größte Stärke des Buchs. Jeder hat die eine oder andere Macke, und gerade das macht sie so liebenswürdig. Didierlaurent macht damit ganz unauffällige Menschen zu Helden, solche, an denen wir auf der Straße meist einfach vorbeigehen. Und sie haben ihr Herz am rechten Fleck. Ob das Guylains ehemaliger Kollege Giuseppe, der Pförtner Yvon oder Julie ist.
Guylain und wir lernen Julie kennen, als er im Zug einen USB-Stick mit zweiundsiebzig Tagebucheinträgen von ihr findet. Er ist total geflasht von ihr, nachdem er sie durchgelesen hat. Klar, dass er davon auch seinen Zuhörern im Zug davon vorliest. Schließlich macht er sich mit Giuseppes Hilfe auf die Suche nach ihr.
Ich fand das gelungen gestaltete Cover des Buchs gleich ansprechend. Und auch im Inneren ist es sehr schön gestaltet. Die Texte, die Guylain vorliest, werden in einer anderen Schriftart dargestellt, das ganze Layout unterstreicht die Stimmung des Buchs sehr gut.
Persönliches Fazit
Ich mag keine Bücher mit allzu viel „Herzschmerz”. Die schrulligen, skurrilen Charaktere von „Die Sehnsucht des Vorlesers” finde ich aber sehr sympathisch und liebenswürdig. Ein Buch, das man auf einen Rutsch durchlesen kann und seine Leser zurücklässt „wie frisch gestillte Säuglinge: satt, glücklich und rundherum zufrieden” (S. 179).
© Rezension: 2016, Marcus Kufner
Roman
dtv Verlag - ISBN: 9783423260787
2015
Klappenbroschur, 224 Seiten