Reto, Schweizer Schriftsteller, pflegt in Venedig seine Schreibblockade. Eines Abends geschieht etwas, das sein Leben auf den Kopf stellt. Killer sind ihm auf den Fersen, und Reto nimmt den Kampf auf. Seine Recherchen führen ihn nach Afrika und in die Schweiz, wo er der großangelegten kriminellen Unternehmung eines Pharmakonzerns auf die Schliche kommt. Seine Gegenspieler tun alles, um ihn aufzuhalten. Reto steckt in der Klemme. Kann ein Einzelner der geballten Macht eines Konzerns etwas entgegenhalten? [Text + Cover: © Der Kleine Buch Verlag]
Reto Camenada, ein Schweizer Schriftsteller verbringt den Großteil seiner Zeit in einem Café in Venedig, wo er mit seiner Schreibblockade hadert. Ein Tag ist wie der andere – bis ihm plötzlich die Inspiration für seinen nächsten Bestseller praktisch in den Schoss fällt. Ein gehetzter junger Mann steckt ihm ein geheimnisvolles Paket zu und wird kurz darauf ermordet aufgefunden. Und bereits hier zu Beginn des Romans spielt der Autor seine ganze Klasse aus: Wenn er den morgendlichen Nebel ins Bewusstsein malt, der wie eine Glocke über den Kanälen hängt, der schwach in der Ferne die Lichter der Polizeiboote reflektiert, meint der Leser schon das Wasser regelmäßig schwappen zu hören, das glitschige Pflaster unter den Füßen zu spüren.
Mit der Situation in Lampedusa, die durch die Fernsehnachrichten flimmert, demonstriert er, wie die große Welt im kleinen wahrgenommen wird. Das Fußballspiel Inter Mailand gegen Juventus Turin endete 0:1 – schon ist alles andere vergessen. Die Menschen inhalieren den neuen Tag aus ihren Espressotassen, tratschen über Politik, Sport und lokale Begebenheiten … wie in jedem anderen Kaffeehaus der Welt.
Gerade noch rechtzeitig scheint der Autor jedoch zu erkennen, dass die konkurrenzlose Krimi-Königin der Lagunenstadt immer noch Donna Leon ist und schickt seinen Protagonisten nach Afrika, ehe er sich der Majestätsbeleidigung schuldig macht. Dort kommt er einer Serie von Arzeimittelversuchen, die jeder Ethik spotten, auf die Schliche und darf gleichzeitig beweisen, dass ein gestandener Schweizer bei jedem Klima zu detektivischen Höchstleistungen fähig ist. Überhaupt wird Reto von seinem Autor zum eidgenössischen Allzweckhelden hochstilisiert. Ein großgewachsener Dandy, der intellektuell als Schriftsteller und körperlich als Landwirt erprobt ist, deckt einen Skandal in der Pharmaindustrie auf, an dem erfahrene Journalisten gescheitert sind. Erd- und heimatverbunden schlägt er mit gesundem Hausverstand und mit Hilfe der Rolling Stones einen ausgewachsenen Massai-Krieger in die Flucht und bezwingt auf Schiern die steilsten Berghänge. Da sich die Biographie des Autors – auch dieser betreibt neben einem geistig fordernden Hauptberuf eine Landwirtschaft – teilweise mit jener seiner Figur deckt, liegt die Vermutung nahe, hier seinem Alter Ego zu begegnen.
Reto gegenüber ist Urs Köhli, Vorstandsvorsitzender des verbrecherischen Pharma-Konzerns als Antagonist positioniert. Berechnend geht er im Interesse von Aktienkurs und Dividenden über Leichen und gibt sich gleichzeitig als kultivierter Lebemann. Indem er einen kalten Kapitalismus personifiziert, stellt er einen maßgeschneiderten Schurken für den Helden dar … ein wahrhaft bilderbuchtaugliches Gegensatzpaar.
Dieser Schurke schließlich soll mit Hilfe eines Romanmanuskripts zur Strecke gebracht werden, in dem Reto all seine Erlebnisse aufzeichnet, vom Erhalt des ominösen Pakets bis hin zu vereitelten Anschlägen auf sein Leben in der afrikanischen Wildnis. Kurioserweise tragen die Figuren in Retos Text dabei dieselben Namen wie die im Kontext des Romans realen Vorbilder, was wiederum nur zwei Schlüsse zulässt: Entweder der schreibende Landwirt ist sich bis zuletzt nicht ganz sicher, ob das Ergebnis nun dokumentarischen oder erzählerischen Charakter erhalten soll, oder sein Talent als Autor ist aufgrund eklatanten Mangels an Kreativität sehr zu hinterfragen. Anhand von Fragmenten dieses Romans im Roman wird dem Leser schließlich selbst ein Eindruck von Retos Fähigkeiten vermittelt. Da jedoch diese Auszüge nur eine Wiederholung der ohnehin bereits bekannten Begebenheiten ohne nennenswerten Ausdruck kreativer Freiheit darstellen, wird damit nur eine störende Redundanz erzeugt.
Die Form des Hörbuchs bietet zudem nicht die typographischen Möglichkeiten der gedruckten Version, um diese Einschübe als solche zu kennzeichnen, was irritierend wirkt. Immerhin konnte mit Gordon Piedesack ein routinierter Sprecher gewonnen werden, der stimmlich an Detlef Bierstedt erinnert. Durch eine vom übrigen deutschsprachigen Raum unterschiedliche Betonung von Silben, einem Hang zur indirekten Rede und einer Vielzahl von Diminutiven wirkt das Schweizerische Deutsch für Außenstehende oft etwas schrullig. Piedesack versucht erst gar nicht, die gerne parodierte Sprachmelodie zu imitieren und lässt Satzbau und Namen bereits nach kurzer Zeit vertraut klingen.
Persönliches Fazit
“Retos Verdächtigung” präsentiert sich als eine einfältige Variante des David-Goliath-Themas, bei der ein naturverbundener Intellektueller einen multinationalen Pharmakonzern in die Knie zwingt. Die Stärke des Autors, die er leider zu wenig ausspielt, liegt in der Erzeugung von Lokalkolorit.
© Rezension 2016, Wolfgang Brandner
Der Kleine Buch Verlag - ISBN: 9783765033001
2015
Hörbuch, 438 Min., gelesen von Gordon Piedesack