Inzwischen wird landauf, landab zwischen zwei Buchdeckeln gemordet, sodaß es für eine Region beinahe schon zum guten Ton gehört, sich einen erdachten skrupellosen Serienmörder, kauzigen Kommissar oder einen kriminalistischen Koch zu halten. Die Bandbreite der kreativen und literarischen Qualität wird dabei voll ausgenutzt, die größte Gefahr, der ein Autor sich und seine Geschichten aussetzen kann, ist jene der Beliebigkeit. Gelingt es also, die eigenen Figuren nachhaltig im Kopf des Lesers zu verankern, so ist wohl ein Platz im Spitzenfeld des qualitativen Spektrums gesichert. Auch die Steiermark ist inzwischen für das erdachte Verbrechen erschlossen, als die prominentesten Namen haben sich Claudia Rossbacher und Robert Preis etabliert. Was dabei die Revieraufteilung betrifft, scheint ein impliziter Gebietsschutz zu gelten: Während Preis die Gegend um die Landeshauptstadt erkundet, faßt díe gebürtige Wienerin ihren kreativen Aktionsradius durchaus weiter.
Spätestens seit der Verfilmung von “Steirerblut” sind Sandra Mohr und Sascha Bergmann zu unverzichtbaren Charakteren der österreichischen Kriminalliteratur geworden. Die Besetzung wurde dabei so sorgfältig ausgewählt, daß auch beim Lesen die Schauspieler Miriam Stein und Hary Prinz für die Hauptrollen im Kopfkino besetzt werden.
Ein essentieller Bestandteil des Genres Regionalkrimi ist stets auch die Erzeugung lokaltypischer Atmosphäre. Claudia Rossbacher setzt dabei hauptsächlich auf das bewährte Stilmittel der Sprache. wobei die Balance zwischen Hochsprache und Dialekt entscheidend ist. Einerseits soll dem ortsunkundigen Leser das lokale Idiom zu Gehör gebracht werden, andererseits soll er nicht in jeder Zeile das Bedürfnis nach den handlichen gelben Nachschlagewerken mit dem großen “L” verspüren. Um dieses Ziel zu erreichen, betreiben die Figuren Arbeitsteilung. Die in der Gegend der Handlung beheimateten sprechen jeweils das mit örtlichen Ausdrücken durchsetzte Idiom, während die Ermittler – auch, um Überregionalität zu signalisieren – die Hochsprache pflegen. Im Falle von Sandra Mohr wird dieser Umstand plausibel erklärt: “Wenngleich sie selbst ihren Grogga-Dialekt ganz bewusst abgelegt hatte, als sie damals nach Graz gezogen war. Nicht zuletzt, um mit ihrer Vergangenheit abzuschließen” (S. 58) Was auf Figurenebene mit akzeptablen Unschärfen gelingt, kann jedoch für die Erzählerinstanz nicht ganz durchgehalten werden. So wirkt es zwar recht sympathisch, ansatzweise jedoch inkonsequent, wenn es heißt: “Weder hatte diese Gitschen Umgangsformen …” (S. 174)
Die Geschichte selbst ist wieder klar in der Gegenwart des Lesers verortet, das Wahrscheinliche wird dem Wahren so weit wie möglich angenähert, um ein Maximum an Authentizität zu erreichen. Dazu nutzt die Autorin Eckpfeiler des Zeitgeschehens wie die Nachrichtensendung “Steiermark heute”, in der sie sich auf einen tatsächlich ausgestrahlten Bericht bezieht oder einen Artikel in der regional auflagenstarken “Kleinen Zeitung”. Kurze kritische, niemals jedoch ausufernde oder stark wertende Gedanken der Hauptfigur zu aktuellen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens verleihen zusätzlich an Würze. So bedauert Sandra Mohr das drohende Aussterben von Dialekten durch ein medial überpräsentes Standarddeutsch, und auch das notorich angespannte innersteirische Verhältnis zwischen der Stadt Graz und allem außerhalb davon sollte einem Besucher bewußt sein.
Persönliches Fazit
“Steirernacht” versteht sich als routinierter Lokalkrimi als Teil einer erfolgreichen Serie, auf deren Vorgängerbände immer wieder referenziert wird. Ein Indiz für den Erfolg dieser Serie ist es sicher zu verstehen, wenn ob des Wiedersehens mit liebgewonnenen Figuren der aufzuklärende Fall zuweilen in den Hintergrund tritt und der Abschluß des letzten Kapitels unmittelbar in die Vorfreude auf den folgenden Teil mündet.
(c) Rezension, 2016, Wolfgang Brandner
Sandra Mohrs sechster Fall
Kriminalroman
Gmeiner Verlag - ISBN: 9783839219263
2016
Klappenbroschur, 277 Seiten