Wie anders war doch das Leben noch vor rund einhundert Jahren: die meisten Menschen waren noch mit Pferdekutschen unterwegs, es gab noch einen Krämer im Dorf und eine Ziegelei war in der ländlichen Gegend der Gipfel der Industrialisierung. Julius und seine drei Freunde sind siebzehn. Sie verbringen viel Zeit miteinander und haben, wie es sich für dieses Alter gehört, hauptsächlich Mädchen im Kopf. Pieter Webeling schildert aber auch die harten Seiten der Jugend jener Zeit. Wenn der Sprössling nicht macht, was von ihm erwartet wird oder gar widerspricht kann ein Vater auch gewalttätig werden.
Als die Nachricht der Mobilmachung zum Krieg gegen Frankreich das Dorf erreicht, sind die meisten Bewohner erfreut. Endlich wird den Franzosen ihre Arroganz heimgezahlt, meinen sie.
„Dieser Krieg schien uns unvermeidlich. Ein grandioses Ereignis, über das mit Sicherheit noch viel gesprochen würde. Und wir durften dabei sein. Welch ein Privileg” (S. 91)
Julius und seine Freunde lassen sich wie die viele andere rekrutieren. Für sie ist es die Gelegenheit, der Enge des Dorfs und des Elternhauses zu entfliehen und sich zu beweisen. In diesem Alter hält man sich ja vermeintlich für unsterblich. Dass die Idealisierung des Krieges und die markanten Sprüche der Anwerber nichts mit der Realität gemein haben, lernt Julius im Gemetzel auf den Schlachtfeldern schnell. Bald schon wünscht er sich, er wäre zu Hause geblieben.
Pieter Webeling findet einen wunderbaren Erzählton. Seine Geschichte, die Julius als Ich-Erzähler dem Priester schildert, wirkt damit sehr bildhaft und lässt die damalige Zeit atmosphärisch dicht wieder aufleben. Dabei wird weder etwas beschönigt noch frisiert. Die Grausamkeiten des Krieges, die Julius erlebt, beschreibt er eher nüchtern. Gerade dadurch wird mir die Trostlosigkeit seiner Situation bewusst, die sich tatsächlich überhaupt nicht heldenhaft anfühlt. Keine Ideologie rechtfertigt diese Unmenschlichkeit.
„Ich hatte die Grenze zwischen Leben und Tod bereits überschritten, war über Angst, Erschöpfung und Schuld hinaus gewesen. Halt an, liebe Welt, ich will aussteigen!” (S. 101)
Dass es aber auch in Kriegszeiten noch Hoffnung gibt, zeigt die bekannte Szene, als die französischen und deutschen Soldaten am Weihnachtstag ihre Stellungen verlassen, um gemeinsam zu feiern. Hier bin ich mit Julius hautnah dabei. Das ist wahrlich eine besondere Art der Völkerverständigung und zeigt, dass es nur etwas Mut und Willen braucht, um aufeinander zu zu gehen.
Persönliches Fazit
Gekonnt verstrickt Pieter Webeling das Schicksal von vier Freunden mit dem Irrsinn der Schlachten des Ersten Weltkriegs. Mit seinem bemerkenswerten Erzählton erschafft er sympathische und authentische Charaktere und eine dichte Atmosphäre. Ein Pageturner, der mich beeindruckt und gefesselt hat.
© Rezension: 2016, Marcus Kufner
Roman
Blessing Verlag - ISBN: 9783896675682
2016
gebunden, 304 Seiten