Rezension: Kinder des Nebels | Brandon Sanderson

by Wolfgang Brandner
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Seit über eintausend Jahren ist die Welt von Asche bedeckt. Seit über eintausend Jahren herrscht der unsterbliche Lord Ruler und versklavt das Volk der Skaa. Die Hoffnung scheint längst verloren, bis eines Tages ein junger Mann mächtige Fähigkeiten entwickelt und eine Schar von Rebellen versammelt. Sein Plan: Er will sie ebenfalls die Kontrolle über die magischen Kräfte lehren – und den allmächtigen Lord Ruler stürzen… [©Text und Cover: Randomhouse Audio, Deutschland]

Das Letzte Reich wird von seinem Herrscher mit harter Hand regiert, die Gesellschaft teilt sich in zwei Klassen. Während der Adel sich in dekadenten Bällen und harmlosen Ränken ergeht, muß ihm das Volk der Skaa ergeben dienen und alle Demütigungen über sich ergehen lassen. Kein Wunder also, daß sich unter diesen Widerstand regt und sich mit einem Mann namens Kelsier ein mutiger Rebellionsführer findet. Die Geschichte eines solchen Auflehnens gegen die herrschende Ordnung dient üblicherweise als Allegorie für einen notwendigen Teil des persönlichen Reifungsprozesses. Eine Phantasiewelt bietet dabei eine dankbare Projektionsfläche, auf der mentale Stellvertreterkriege geführt werden können. Der erste Teil von Brendan Sandersons “Mistborn”-Serie setzt also auf ein bekanntes Thema.

Sehr viel origineller hingegen ist das von ihm eigens entworfene Magiesystem. Magisch begabte Figuren, ein essentieller Bestandteil eines jeden Fantasy-Universums, bilden üblicherweise einen auserwählten Bruchteil der Gesamtbevölkerung und wirken ihre Kräfte verbal mittels Zauberspruch, kinetisch mit einem Zauberstab oder mit magischen Tränken. Sandersons Allomantie beruht auf winzigen Metallpartikeln, die vom Körper absorbiert werden. Abhängig von der Art des Metalls können dabei die Gefühle anderer Personen beeinflußt, die eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten geschärft oder die Körperkräfte gestärkt werden. Besonders faszinierend ist auch die Fähigkeit, metallische Gegenstände in Relation zum eigenen Körper zu manipulieren. Dadurch können beispielsweise Münzen als tödliche Waffen eingesetzt oder – bei einem entsprechend starken Anker – akrobatische Sprünge vollbracht werden.

Die englische Redewendung “to raise (a few) eyebrows” bedeutet der Online-Version des Cambridge Dictionarys zufolge “to cause surprise or shock”, ist also Ausdruck des Erstaunens oder der Überraschung. Diese Redewendung mag im amerikanischen Raum nicht ungewöhnlich sein, im Deutschen wird “eine Braue heben”, so die wörtliche Übersetzung, allerdins nur in Ausnahmefällen gebraucht. Sandersons Phantasiewelt mag für Außenstehende voller Überraschungen sein, so oft, wie diese Phrase zu hören ist, liegt der Schluß nahe, daß entweder seine Figuren reichlich unerfahren sind oder der Autor selbst nur ein eingeschränktes Vokabular anwendet. In der Hörbuchfassung intoniert Detlef Bierstedt diesen mimischen Reflex so, als bedürfe es dazu größerer phyischer Anstrengung, oder als sei dies Teil einer magischen Handlung. Etwa ab der Hälfte des Romans dürfte der Autor jedoch bemerkt haben, daß das Brauenheben zum Breitensport geworden ist. Ab diesem Zeitpunkt übernehmen dann nicken und stirnrunzeln dessen Funktion als universelle Emotionsausdrücke. Das geht so weit, daß gefühlt jeder dritte Satz lautet “Vin nickte” oder “Kelsier runzelte die Stirn.” Im Text mag das noch recht abstrakt scheinen, in der konkreten Gesprächssituation dürfte es aber stark irritieren, wenn sich einer der Beteiligten benimmt wie ein Heavy Metal-Fan bei einem Konzert seiner Lieblingsband.

Die nicht gerade seltenen Konversationen sind also durchzogen von stets gleichen Stehsätzen nach folgendem Schema:

– Figur A runzelte die Stirn.

– Figur B nickte.

– Figur C hob eine Braue.

Mit der Zeit entsteht so ein akustisches Abbild dieser Phrasen im Bewußtsein des Hörers analog zu einem Röhrenbildschirm, auf den sich ein Bild eingebrannt hat. Wenn noch lange nachdem der Hörbuchspieler deaktiviert wurde, im Geist Bierstedts Stimme bedeutungsschwer verkündet “Kelsier hob eine Braue. Vin nickte.”, hat der Roman die Grenze von der ernsthaften Phantasygeschichte zu einer Parodie seiner selbst überschritten. In anderen Worten: Irgendwann verkommt dann die Geschichte zur Nebensache und man wartet nur mehr lächelnd darauf, bis wieder eine Figur eine Braue hebt oder unablässig zu nicken beginnt.

 

Persönliches Fazit

“Kinder des Nebels” ist die spannende Geschichte einer Rebellion typischerweise angesiedelt im Fantasy-Genre mit einem faszinierend kreativen Magiesystem. Leider erschöpft sich jedoch die Kreativität des Autors darin, sodaß von dieser wertvollen Ressource für den sprachlichen Stil nicht mehr viel bleibt.

© Rezension 2016, Wolfgang Brandner

 

Kinder des Nebels
Brandon Sanderson (Aus dem Amerikanischen von Michael Siegener)
Random House Audio
2012
Hörbuch ungekürzt, 26 Std. 41 Min., gesprochen von Detlef Bierstedt
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