Eine Kommune als Therapieform klingt doch eigentlich sehr gut: die Patienten haben die Chance, statt gefängnisartig in einer Nervenheilanstalt mit Medikamenten ruhig gestellt zu werden, sich unter ärztlicher Aufsicht in einer sozialen Gemeinschaft in einem normalen Umfeld zu bewegen. Zu dem Zeitpunkt, als wir als Leser zu der Gruppe stoßen, ist den beiden Verantwortlichen Zack und Roger aber schon klar, dass das Projekt gescheitert ist. Das liegt sicherlich hauptsächlich daran, dass sie die Medikamente und Drogen, an die sie als Ärzte ran kommen, nicht nur an die Bedürftigen ausgeben, sondern vor allem auch selbst konsumieren. Wie sollen sie so den teils schwer traumatisierten Mitbewohnern helfen? Sie kommen offensichtlich mit ihren eigenen Problemen schon nicht zurecht.
Durch Zeitsprünge tauchen wir ein in die Erinnerungen der Protagonisten und erfahren dadurch hautnah und subjektiv die Ursachen ihrer psychischen Probleme. Da ist beispielsweise Jeanie, der ihre Eltern keinen Halt geben und ihren Absturz in Prostitution und Heroinsucht fast noch fördern. Oder Claude, der im Zweiten Weltkrieg beim Untergang der USS Indianapolis dabei war und miterleben musste, wie viele andere elendig krepierten. Mit lockerem Faden verbindet der Autor die Schicksale der Beteiligten.
Es gibt Bücher, die unterhalten und sich flott weg lesen lassen. Es gibt aber auch welche, die eine Herausforderung sind. Für mich gehört „Shark” in die zweite Kategorie, da musste ich mich erst mal rein finden. Will Self hält sich hier nicht an Konventionen. So gibt es zum Beispiel keine Kapitel oder Absätze. Der Text fließt von vorne bis hinten komplett am Stück durch. Zeitsprünge oder Wechsel der Personen werden nicht datiert, sie passieren einfach. Das verlangt meine volle Aufmerksamkeit, sonst gehe ich ganz schnell im Text verloren. Und er verbindet die Erzählform der 3. Person mit den Gedanken der Protagonisten innerhalb der Sätze.
„Michael muss wieder an die Nachtwache in der Winchester Cathedral denken – die stechende Kälte der Bodenplatten … die meine Organe anfressen … Beiß mir ins Herz, du Gott der Dreifaltigkeit! Verzehre mich! Das wär’s gewesen – aber nichts dergleichen war geschehen … weil ich nicht schmackhaft genug bin, nicht einmal für IHN.” (S. 366)
Will Self spielt mit der Grenze zwischen literarischem Genie und Geschwafel. Mal driftet eine Abhandlung unter dem Einfluss von LSD in psychedelische Sphären, dann schreibt er wieder mit großer Präzision geradezu poetisch. Das war zweifellos auch eine besondere Aufgabe für den Übersetzer Gregor Hens, die er bemerkenswert gemeistert hat.
Persönliches Fazit
Will Self erhebt den Roman zur Kunstform. Er löst die konventionellen Erzählstrukturen auf, fordert mich heraus und erweitert meinen Horizont. Ein Trip der besonderen Art. Wer sich gern mit ungewöhnlichen Texten beschäftigt, ist hier genau richtig.
© Rezension: 2016, Marcus Kufner
Roman
Hoffmann und Campe Verlag - ISBN: 9783455405453
2016
gebunden, 512 Seiten