Von der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2016:
Warum zum Henker verabredet man sich denn nur, um sich gegenseitig zu verprügeln? Was für mich gar keinen Sinn ergibt, ist für Heiko das Größte. Da treffen sich Gruppen, fünfzehn gegen fünfzehn, und wer am Schluss noch steht, gewinnt. Das hat mit einem Fußballspiel nicht viel zu tun, das gucken sie meistens gar nicht an. Aber man vertritt seinen Verein und seine Heimatstadt, da gibt man doch alles! Und es schweißt die Gruppe zusammen, seine Freunde sind für Heiko das Wichtigste.
Ganz klischeehaft ließe sich erklären, wieso Heiko so eine niedrige Hemmschwelle zur Gewalt hat und sich nur schwer in die Gesellschaft integriert. Ob die zerrüttete Familie oder das Umfeld mit Bikern, Gangs, Drogen und Waffen, da gibt es viele Ansätze. Philipp Winkler sucht in seinem Roman jedoch gar nicht nach Gründen für sein Verhalten. Er schreibt aus Heikos Perspektive, weshalb er nie den erhobenen Zeigefinger herausholt oder gar von oben herab besserwisserisch kommentiert. Das macht den Roman äußerst glaubwürdig und authentisch.
Außer dass wir Heiko eine Weile begleiten, gibt es immer wieder Kapitel, die auf wichtige Ereignisse in seinem Leben zurückblicken. Meist sind das Dinge, die in der Familie passieren. An seiner Reaktion merke ich, dass er durchaus sein Herz am rechten Fleck hat. Gerade dass er oft sprachlos ist (was ihn wirklich böse zum Fluchen bringt) oder überfordert scheint, macht ihn mir sympathisch. Und dass für ihn die Neonazis ein absolutes No-Go sind, gibt nochmal einen dicken Extrapunkt!
„Ich nickte. Also, glaube ich. Weiß noch, dass es sich aber irgendwie mehr so anfühlte, als würde ich den Kopf einziehen und dann vorstrecken. So als ob ich versuchen müsste, eine ganze Bratwurst mit einem Mal herunterzuschlucken.” (S. 184)
Was mich schwer begeistert, ist Heikos Sprache. Er ist nun mal kein Linguist, seine Sätze fallen eher kurz aus. Und trotzdem sind seine Ausdrucksweise und Vergleiche sehr einfallsreich. Manchmal wird er vulgär, was sicher nicht jedem Leser liegt, mich aber sehr amüsiert hat. Manchmal ist er aber auch geradezu poetisch.
„Ihr Lachen klingt wie so ein Windspiel, oder wie die Dinger heißen. Wie ein Sommerregen, der auf mein entblößtes Hirn rieselt, mich beruhigt und mir das Gefühl gibt, das ganze Drecksleben wär doch irgendwie erträglich.” (S. 119)
Sehr beachtlich, dass es Philipp Winkler mit seinem Debütroman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2016 geschafft hat. Ich kann es nachvollziehen.
Persönliches Fazit
Mich hat „Hool” begeistert mit seinem authentischen Helden, dem spannenden Umfeld und vor allem mit seiner unkomplizierten und doch so ausdrucksstarken Sprache. Ein unkonventioneller und sehr stimmiger Roman, den ich gar nicht mehr aus der Hand legen wollte.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Roman
Aufbau Verlag - ISBN: 9783351036454
2016
gebunden, 310 Seiten
3 comments
Dieses Buch hab ich seit einiger Zeit auf dem Reader und schon länger ganz viel Lust drauf. Nach dieser Rezension will ich es auf jeden Fall lesen. Man mag das jetzt zwar nicht denken, aber ich interessiere mich total für die Thematik. 🙂
LG Petzi
Liebe Petzi,
sieh mal einer an, wer hätte es gedacht? Da bist du ja bei Heiko genau richtig 🙂
Du solltest das Buch dann wirklich nicht verpassen!
Viele Grüße,
Marcus
Ich kann es auch absolut empfehlen. Sehr authentisch und bewegend, vielleicht auch ein wenig verstörend. Es bleibt einem auf jeden Fall noch länger im Kopf.