Thrillerspannung in der Abgeschiedenheit der Pyrenäen
Sie besuchen zusammen die Schule und spielen gemeinsam im Schnee, eine sorglose Kindheit haben die beiden Mädchen in ihrem Dorf. Das ist mit einem Schlag vorbei, als sie spurlos verschwinden. Die Ermittlungen der Polizei bleiben erfolglos. Schon nach wenigen Seiten springen wir fünf Jahre in die Zukunft. Wie sind die Eltern damit umgegangen, dass ihre Kinder nicht mehr zu finden sind? Haben sie sich irgendwann damit abgefunden und ihr Leben weitergelebt? Oder sind sie daran zerbrochen? Ich glaube nicht, dass es möglich ist, das ohne emotionale oder psychische Schäden zu verkraften.
Ich bin beeindruckt, wie intensiv dieser Kampf der Eltern gegen die Ungewissheit und Verzweiflung geschildert wird. Sogar einer der Väter gerät in Verdacht, der Entführer zu sein. Da fängt sogar seine Frau an, an ihm zu zweifeln. Kennt man die Menschen wirklich so gut, wie man glaubt? Das zieht sich letztlich durch das ganze Dorf. Hier kennt ja jeder jeden. Und trotzdem verbergen sich viele Geheimnisse unter den Einwohnern. Damit kann praktisch jeder Schuld auf sich geladen haben. Agustín Martínez baut dieses Szenario sehr gut auf. Die Charakterisierung ist bis zu den Nebenrollen ausgezeichnet.
„Die Bewohner von Monteperdido waren alle auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden. Taufpaten, Schulkameraden, Schwestern oder Freundinnen, die zusammen ihre Kinder erzogen, gemeinsame Feste und die langen lichtlosen Winter, ringsum nur Berge und die Tiere, die dort lebten. Hirsche, Rehe, Wildschweine. Ein paar Füchse, die in den Wäldern am Monte Ármos und am Ixeia lebten. Geliebt und gejagt. Tiere und Menschen, deren Leben eng miteinander verbunden war. Das war Monteperdido.” (S. 148)
Oft drängen sich die Ermittler in Krimis oder Thrillern mit ihren großen und kleinen Problemen in den Vordergrund und halten mich von der spannenden Geschichte ab. Zwar hat Sara Campos, die jetzt nachdem Ana gefunden wurde, die Ermittlungen übernimmt, auch eine Vergangenheit, die sie belastet. Aber die Ausführungen dienen eher dazu, ihre Motivation zu ergründen und stört mich nicht. Sie konzentriert sich meist auf die akribische Polizeiarbeit. Ihre Schlussfolgerungen, Erkenntnisse aber auch ihre Fehler sind gut nachvollziehbar. Das macht die Story sehr glaubhaft und spannend.
Ein wichtiger Bestandteil des Buchs ist die Umgebung. Die karge, schroffe und bergige Landschaft in den Pyrenäen hat einen ganz besonderen Reiz. Die Felshänge und tiefen Schluchten sind genauso faszinierend wie einschüchternd. Da kann man sich sehr einsam fühlen, so am Rand der Welt. Damit erzeugt der Autor eine melancholische Atmosphäre, der ich mich nicht entziehen konnte.
Persönliches Fazit
„Monteperdido” besticht durch die Stimmung, die durch die spektakuläre Landschaft verursacht wird, und durch die starke Charakterisierung der Einwohner. Die Kombination mit dem dramatischen Fall und seinen Wendungen erzeugt feinste Thrillerspannung.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Thriller
783596036585
2017
broschiert, 496 Seiten
5 comments
Lieber Marcus, vielen Dank für die Rezension! Ich bin im Moment in Thriller/Krimi-Fieber und so kommt dieser Lesetipp sehr gelegen!
Alles Liebe Katharina ktinka.com
Immer wieder überlege ich mir, das Buch zu kaufen … bislang war ich eher unsicher ob es mir gefallen würde, deine Rezension jedoch hat es nun weit nach oben auf meine WuLi katapultiert 😉
Hab ein feines langes WE, liebe Grüße,
Janna
Liebe Janna,
freut mich, wenn ich dir weiterhelfen konnte 🙂
Ich hoffe, das Buch erfüllt auch deine Erwartungen.
Herzliche Grüße,
Marcus
Lieber Marcus,
vielen Dank für die tolle Rezension! Ich könnte durch dieses Buch glatt Zugang zu Thrillern finden (wovon ich bisher noch keinen einzigen gelesen habe) 🙂
Grüzie
Kia
Liebe Kia,
es ist doch immer spannend, seine gewohnten Pfade zu verlassen. Das hat mir auch schon so manche positive Buchüberraschung beschert. Ich glaube, das kannst du mit “Monteperdido” ruhig riskieren.
Viele Grüße,
Marcus