Neu ist die Geschichte über ein leidenschaftliches Verhältnis zwischen einem Gutsherrn und einer Bediensteten sicher nicht, aber das Tabu, der Reiz des Unmoralischen, bringt doch immer wieder prickelnde Spannung. Graham Swift fokussiert sich auf einen Tag, Muttertag in England, an dem die Familien außer Haus sind und die Dienerschaft ihre Familien besuchen können. Eine einmalige Gelegenheit, sturmfreie Bude. Und das auch noch bei schönstem Frühlingswetter. Ein glücklicher, ein perfekter Tag für Jane, die diese Gelegenheit mit Paul voll auskostet.
„Zu hören war nur das Vogelgezwitscher draußen und die merkwürdig vernehmbare, den Atem stocken lassende Stille des leeren Hauses, der schwache Luftzug, der über ihre Körper strich und sie daran erinnerte, während ihre Blicke zur Decke gerichtet waren, dass sie vollkommen nackt waren.” (S. 39)
Die Bedeutung dieses Tages wird noch deutlich erhöht, weil klar ist, dass es keinen weiteren in dieser Art geben wird. Denn Pauls Hochzeit mit Emma steht kurz bevor, und die beiden werden danach nach London ziehen. Der Schatten der Vergänglichkeit schwebt über diesen gemeinsamen Stunden und sie wissen, dass nur das Hier und Jetzt zählt. Jane ist keineswegs naiv, sie weiß, dass sie keine Zukunft zusammen haben.
Swift streut latent dramatische Ereignisse mit ein. Was ist damals mit Janes Mutter passiert? Wieso musste sie als Waise aufwachsen? Welche Auswirkung hatte der Tod von Pauls Brüdern im 1. Weltkrieg für die Familie? Das sind alles kleine Puzzleteile, die Auswirkungen auf Entscheidungen und Handlungen haben.
Die soziale Diskrepanz zwischen den Ständen ist erheblich. Während Paul seine Kleidung im Ankleidezimmer aussuchen kann, passt Janes Habe in einen Karton. Eine offene Verbindung zwischen ihnen ist undenkbar. Und doch ist die Gesellschaft im Wandel. Die Gutshäuser tragen sich nicht mehr von alleine, viele Adelige haben bereits Personal entlassen müssen und Paul macht eine Ausbildung zum Anwalt, um das benötigte Einkommen zu sichern.
„Die Dienenden dienten und die Bedienten, sie lebten. Aber manchmal schien es ehrlich gesagt genau andersherum zu sein. Das Dienstpersonal hatte ein Leben, und das war hart, während die Bedienten oft nicht zu wissen schienen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten. Manche von ihnen waren ziemlich verloren …” (S. 98)
Graham Swift hat einen herrlichen Schreibstil, der die ganz besondere Atmosphäre dieses Tages trägt. Er ist einer jener Autoren, denen es mit Leichtigkeit zu gelingen scheint, Bilder im Kopf entstehen zu lassen, die durch Klarheit und Intensität bestechen.
Persönliches Fazit
„Ein Festtag” hat mich mit einer intensiven und leidenschaftlichen Atmosphäre überzeugt, die Graham Swift mit seiner Schreibweise wunderbar eingefangen hat. Aber auch die dramatischen Untertöne tragen dazu bei, dass dieser Ausflug nach England ins Jahr 1924 ein lohnender ist.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Roman
dtv Verlag - ISBN: 9783423281102
2017
gebunden, 144 Seiten
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