Rezension: Ready Player One | Ernest Cline

by Wolfgang Brandner
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DER Science-Fiction-Roman zur Virtual-Reality-Revolution und Vorlage für den großen Kinoblockbuster von Steven Spielberg.

Im Jahr 2044 ist die Welt ein hässlicher Ort: Die Erdölvorräte sind aufgebraucht, ein Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. Einziger Lichtblick ist die OASIS, eine virtuelle Ersatzwelt, in der man leben, arbeiten, zur Schule gehen und spielen kann. Die OASIS ist ein ganzes Universum, es gibt Tausende von Welten, von denen jede ebenso einzigartig wie phantasievoll ist. Und sie hat ein Geheimnis. Der exzentrische Schöpfer der OASIS hat tief im virtuellen Code einen Schatz vergraben, und wer ihn findet, wird seinen gesamten Besitz erben – zweihundertvierzig Milliarden Dollar. Eine Reihe von Rätseln weist den Weg, doch der Haken ist: Niemand weiß, wo die Fährte beginnt. Bis Wade Watts, ein ganz normaler Junge, der am Stadtrand von Oklahoma City in einem Wohnwagen lebt, den ersten wirklich brauchbaren Hinweis findet. Die Jagd ist eröffnet …  [Text & Cover: © Fischer TOR Verlag]

Gleich vorweg: Wer nicht in den 1980er-Jahren seine Jugend oder zumindest seine Kindheit verbracht hat, wird sich mit “Ready Player One” langweilen und den Roman wohl als unterhaltsam aber belanglos einstufen. Denn “Ready Player One” ist in erster Linie eines: eine Hommage an die Populärkultur der genannten Dekade.

Wie um alle Leser, die sich ob des Klappentextes hochtechnisierte Science-Fiction oder eine gesellschaftskritische Dystopie erwarten, vorzuwarnen, sind die ersten Kapitel prall gefüllt mit Namen von Filmen, Konsolenspielen und Artefakten aus der (verklärten) Erinnerung. Star Wars ist ebenso prominent vertreten wie “Dungeons & Dragons”, “Pac Man”, die “Goonies” und der gute alte VHS-Recorder. Die zentralen Figuren fachsimpeln äußerst emotional über die “Highlander”-Filme, die Ewoks und längst vergessene Pen & Paper-Rollenspiele.

Eine Hommage an die Populärkultur der 1980er-Jahre.

Wie aber motiviert man die Bevölkerung einer in Trümmern liegenden Welt des Jahres 2044 – die gewiß von drängenderen Problemen geplagt wird – dazu, sich bis hin zur Selbstaufgabe mit einem vergangenen Jahrzehnt zu beschäftigen? Dazu bedient sich der Autor, 1972 geboren und somit selbst ein Kind dieser Zeit, einer interessanten Wendung. Die Online-Welt OASIS stellt für jene, die sich in ihr bewegen, einen vollständigen Ersatz der realen dar. Wie in “Second Life” (zur Entstehungszeit des Romans 2011 noch populärer als heute) kreiert der Benutzer seine Spielfigur, den Avatar, und kann sich zwischen Planeten, Städten, Landschaften frei bewegen, kann dort die Schule besuchen, Geschäfte abschließen, sich verlieben oder mit anderen Spielern gegen Monster kämpfen. Der Name OASIS gewinnt somit eine zweite Bedeutung: Wo die reale Welt durch ökologische und ökonomische Katastrophen in Trümmern liegt, flüchten die Menschen sich in eine Oase. Deren Schöpfer, der verstorbene James Halliday, hat nun in seinem Testament verfügt, daß jener Spieler, der eine Serie von Aufgaben löst und einen versteckten Schatz (ein sogenanntes Easter Egg) findet, sein gesamtes, unvorstellbar großes Vermögen erben wird. Der betreffende Betrag würde es dem Gewinner erlauben, auch in der realen Welt fundamentale gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, weshalb sich nicht nur zahlreiche Einzelpersonen, sondern auch eine nach Allmacht strebende Firma namens Innovative Online Industries auf die Suche begeben. Da nun Halliday besessen von den 1980er-Jahren war, gehört umfangreiches Wissen darüber ebenso zur Grundausstattung der suchenden Jäger wie hochgerüstete Spielfiguren.

In einer Dramaturgie, die bestimmt nicht zufällig an alte Geschichten erinnert, treten somit unerschrockene Helden gegen einen mit schier unerschöpflichen Ressourcen ausgestatteten Konzern an, der auch vor Mord in der realen Welt nicht zurückschreckt. Auf dem Spiel steht zwar nicht die Weltherrschaft, aber etwas, das ihr sehr nahe kommt. Auch in der Figurenzeichnung orientiert sich der Autor an den betreffenden Jahren. Hauptfigur Wade (dessen Spielfigur übrigens den Namen Parzival trägt) und seine Freunde weisen in etwa so viel Tiefgang und charakterliche Entwicklung wie ihre digitalen Abbilder auf. Doch ebenso wie in den Geschichten, die zuhauf referenziert werden wie Ghostbusters, War Games oder Indiana Jones liegt das erzählerische Hauptaugenmerk deutlich erkennbar nicht auf komplexen, ineinander verwobenen Handlungssträngen, sondern auf klaren Strukturen, die keine Aufmerksamkeit von der knallbunten Achterbahnfahrt durch die Erinnerung ablenken. Ernest Cline will in erster Linie unterhalten und führt seine Leser dazu in ein typisches Kinderzimmer mit Postern, Taschenbüchern, Comics und einem Home-Computer. Zuweilen leidet darunter auch die innere Logik. Die Hauptfigur Wade verfügt beispielsweise über ein enzyklopädisches Wissen und meisterhafte Fertigkeiten in nahezu allen Automatenspielen, die sich anzueignen in seinem jugendlichen Alter von 18 Jahren nur schwer vorstellbar sind. Auch die Kosten, die durch die aufwendige Suche nach dem gralsartigen Osterei für die abgrundtief böse Organisation IOI anfallen, dürften wohl durch den zu erwartenden Gewinn nur schwer zu decken sein. (Zum Leidwesen des Rezensenten wird außerdem eine persönliche Lieblingsfigur aus dieser Zeit, MacGyver, kein einziges Mal erwähnt).

Letztendlich sind es aber die zahlreichen kleinen Anspielungen im Roman, die nicht gesondert erklärt werden, die dem Leser jedes Mal ein kleines Glücksgefühl bescheren, wenn er sie erkennt und die über genannte Ungereimtheiten hinwegsehen lassen. Wade fürchtet etwa, den Kobayashi Maru-Test absolvieren zu müssen. Als Computerinterface für seinen vollautomatisierten Haushalt stünde die Stimme von Majel Barrett zur Verfügung. Zur Wahl in den OASIS-Nutzerrat stellen sich Spieler mit den Namen Wil Wheaton und Cory Doctorow. Aech, Wades bester Freund imitiert die Grammatik von Jar Jar Binks oder artikuliert seine Bewunderung, indem er ihm “Eier aus purem Adamantium” zuerkennt. Die Passage, in der Wade die Hierarchie von IOI mit dem Decknamen Harry Tuttle unterwandert, liest sich wie eine modernisierte Version von “Das Geheimnis meines Erfolges”. Letztendlich ist Rache ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.

 

Persönliches Fazit

Ready Player One ist eine Freifahrt im DeLorean zurück an den Sehnsuchtsort der Kindheit, zu “Trio mit vier Fäusten” und Pacman, “Knight Rider” und sogar Falco.

© Rezension: 2017, Wolfgang Brandner

 

Ready Player One
Ernest Cline (Aus dem Amerikanischen von Sara & Hannes Riffel)
Roman
Fischer TOR - ISBN: 9783596296590
2017
Taschenbuch, 544 Seiten
6 comments

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6 comments

Francie A. 27. Juli 2017 - 10:28

Hallo,

ein wirklich toller Beitrag 😉
ich habe das Buch schon vor ein paar Jahren gelesen und liebe es. Eigentlich war ich auch schon gespannt auf die Verfilmung, aber nachdem ich den Trailer gesehen habe bin ich etwas unschlüssig, ob nicht der 80er Charme, der das Buch ja so ausmacht, verloren geht..

Liebe Grüße,
Sara (https://diebuchstabenstadt.wordpress.com/)

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WolfgangB 28. Juli 2017 - 13:58

Hi Sara, danke für Deinen Kommentar.
Du hast recht, der Trailer wirkt ein wenig wie ein Spagat: Einerseits wendet sich das Buch an die 80er-Jahre-Kinder, andererseits will man auch Jugendliche von heute gewinnen. Die Optik ist jener aktueller Filme angepaßt.

Aber – und das stimmt mich zuversichtlich – wenn jemand einen Film über die 80er-Jahre produzieren kann, der nicht in den 80ern spielt aber so aussieht, als würde er … dann ist das Stephen Spielberg.

Die größte Herausforderung, die ich erkennen kann, sind die zahllosen Markenrechte. Von TV-Serien über Spielzeug bis zu Computerspielen sollte ja alles vorkommen. Wenn das die Produktionsfirma schaffen will, wird sie das sehr viel Geld und Zeit kosten …

Dennoch: Es gibt kaum etwas Schöneres, als im Kino zu sitzen und wissend in sich hineinzulächeln 😉

Liebe Grüße, angenehmes Wochenende
Wolfgang

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Passion4Books 29. Juli 2017 - 19:15

Hallo Wolfgang,

ich hatte das Hörbuch zu diesem Buch auf Empfehlung meines Mannes gehört und ich war so begeistert. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu hören. Man wurde regelrecht in diese Welt hineingezogen und ich bin schon jetzt sehr gespannt darauf, ob Steven Spielberg das so umsetzen kann wie ich und eventuell auch andere Leser sich das vorstellen. Und ich werde mir das Buch definitiv noch als Buch für mein Regal kaufen.

Liebe Grüße
Anna

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Ready Player One – Autorin 10. September 2019 - 11:02

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Rezension zu Ready Player One von Ernest Cline - angeltearz liest 3. Juli 2020 - 2:23

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Ready Player One 24. Januar 2023 - 6:49

[…] Auch besprochen bei: Bücherkaffee […]

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