Eine Graphic Novel nach einem Roman von Philippe Claudel
Die Graphic Novel kommt mit wenig Text aus, dafür sprechen die unglaublich ausdrucksstarken Bilder in schwarz-weiß. Manu Larcenet versteht es meisterhaft, die düstere und bedrohliche Stimmung der Romanvorlage aufzugreifen und gekonnt umzusetzen.
Der Ich-Erzähler Brodeck kam selbst vor Jahren als Fremder in das abgelegene Dorf nahe der französichen Grenze, in dem die Wunden des Krieges längst noch nicht verheilt sind und alte Vorurteile nicht vergessen. Die Dorfbewohner haben sich eines schrechlichen Verbrechens schuldig gemacht und versuchen nun, mithilfe Brodecks, sich zu rechtfertigen. Brodeck habe schließlich als einziger studiert und wisse, wie man solch einen Bericht abfasst. Sich zu weigern, kommt nicht in Frage und so schreibt er Seite um Seite einem ungewissen Ende entgegen.
“Ich bin schlicht in dem Augenblick ins Gasthaus gekommen, da man sich an den erstbesten hält, der durch die Tür tritt.
Sei es, ihn als Retter zu erwählen oder um ihn zu massakrieren.
Ich sage es noch einmal, ich hätte lieber geschwiegen. Aber ihre Fäuste schlossen sich um das Heft der Messer.
Jene Fäuste, jene Messer, die eben noch gebraucht worden waren.”
Doch auch seine eigene, tragische Lebensgeschichte findet einen Weg zu Papier, er schreibt sie heimlich. Niemand soll etwas davon mitbekommen und auch nicht, dass er sich weigert, die Tat der Dörfler zu beschönigen. Sein Ziel ist einzig die Wahrheit. Etwas anderes kann er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren.
Wir erfahren, wie dieser Fremde, den alle nur den Anderen nennen, in die Dorfgemeinschaft kam und er nie wirklich angenommen wurde.
Zu anders sei er. Zu fremd. Wollte zuviel wissen. Habe sich zuviel eingemischt.
Die Szenerie des Bergdorfes ist karg, kalt, abweisend. Es liegt Schnee und die Menschen sind mürrisch. Sie sind arm und haben nichts zu verschenken, schon gar nicht so etwas wie Mitgefühl. Sie zeigen sich dadurch von ihrer hässlichsten Seite. Jeder ist sich selbst der Nächste, nur in der Ausnahmesituation, diesem kollektiven Verbrechen, halten sie zusammen. Die Parallelen zum Nationalsozialismus und zum Holocaust sind nicht zu übersehen.
Persönliches Fazit
Diese kunstvolle Graphic Novel ist sicherlich kein Wohlfühlbuch, aber eindringlich und nachhallend. Sie wirft Fragen auf. Wie weit geht Gruppenzwang, wie sehr darf man sich hinter der Meinung Einzelner verstecken? Wann ist man Mitläufer und wann Täter? Und wie schnell kippt Angst vor dem Fremden in Gewalt um?
Für alle, die Jonathan Littells “Die Wohlgesinnten” gelesen haben und für alle, die sich mit dem Thema Fremdenhass auseinandersetzen. Und erst recht für alle, die starke, kraftvolle Bilder mögen.
Ein Buch, das nachklingt…
© Rezension 2018, Corinna Klein
Graphic Novel
Reprodukt Verlag - ISBN: 9783956401329
Hardcover mit Schuber, 29 x 23,5cm, 328 Seiten, schwarz-weiß