Philipps Eltern haben ein langes Leben hinter sich, als sie beide kurz hintereinander sterben. Sie im Altenheim, er in seiner Wohnung. Beim Durchsehen ihrer Hinterlassenschaften richtet er seinen Blick zurück: Wie kam es zu der Trennung, schon vor so vielen Jahren? Es gab doch keinen großen Streit, soweit er sich erinnert. Er sichtet alte Fotos und erforscht seine Erinnerungen. Was weiß man noch von seiner Kindheit? Es sind einzelne Szenen, die sich ins Bewusstsein holen lassen. Gert Loschütz lässt uns in solchen Fragmenten an Philipps Erinnerungen teilhaben. Mal sind es Momente mit seinem Vater, mal mit seiner Mutter, oder mit beiden zusammen. Für ihn war nicht zu erkennen, dass die Familie auseinandergerissen wird. Aber wie gut kennt man seine Eltern auch wirklich? Vielleicht hielten sie ihm auch die Wahrheit vor, um ihn zu schützen.
Ich saß neben ihm und spürte das Glück, in seiner Nähe zu sein, ein Gefühl der Geborgenheit, das ich weder in der Wohnung, noch sonst irgendwo empfand (schon gar nicht in der Schule), sondern nur bei diesen Fahrten, allein mit ihm, eingehüllt in den leichten Benzin-, Öl- und Gummigeruch, der sich mit seinem mischte, dem nach Zigarettenrauch und Rasierwasser, untermalt vom Summen des Motors, geschützt von der uns umhüllenden Blechhaut, schweigend meistens, in Gedanken. (S. 147)
Hat die Flucht in die BRD Ende der 50er etwas mit der Trennung zu tun? Philipps Vater bekam damals einen Brief, und ihm war klar, wenn den die Behörden gelesen haben, ist er dran. Und dass sie ihn gelesen haben, ist äußerst wahrscheinlich. Dass damals ‚nur‘ Briefe gelesen und eventuell Telefonate mitgehört wurden, klingt heutzutage relativ harmlos. Klar, die besten Spitzel waren die Nachbarn, manche jedenfalls. Wenn ich aber sehe, was heute beispielsweise die Regierenden in China an Technik auffahren, um ihre Bevölkerung zu überwachen, wird es mir nochmal anders. Ist doch die Anonymität beim Surfen im Internet auch schon passé, überall hinterlässt man unsichtbare digitale Spuren. Wie schnell es einen in einem Überwachungsstaat, wie es die DDR einer war, erwischen kann, wird mir durch diesen einen Brief sehr bewusst.
Die Erzählperspektive wechselt dezent zwischen erster und dritter Person. Das bringt mich wie bei einem Zoom näher ran oder verschafft mir aus der Distanz einen Überblick über die Zusammenhänge. Obwohl Philipp in einem recht sachlichen Ton von seinen Erinnerungen berichtet, bleibt bei mir der Eindruck von Wärme zurück, denn in Philipps kindlicher Sehnsucht nach seiner Mutter steckt doch viel Liebe. Das zu transportieren gelingt Gert Loschütz durch eine sehr schöne Sprache.
Persönliches Fazit
„Ein schönes Paar“ ist ein Roman, bei dem alles passt: Ein gut konstruierter Plot, klug und einfühlsam erzählt aus der Perspektive des Sohns, in einer unaufdringlichen, angenehmen Sprache. Ein Buch von hoher literarischer Qualität, das mich mit einem Gefühl von Wärme zurücklässt.
© Rezension: 2018, Marcus Kufner
Roman
Verlag Schöffling & Co. - ISBN: 9783895611568
2018
gebunden, 240 Seiten
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