Das Buch startet gleich intensiv: 1980, Revolution im Iran. Und eine schwangere Studentin ist mittendrin im Chaos. Nur knapp kann sie den Gewaltexzessen entkommen. Es ist die Mutter der Autorin, die da praktisch selbst schon mit dabei ist. Als Maryam sechs Jahre alt ist, verlässt sie mit ihren Eltern das Land. Als aktive Kommunisten droht ihrer Mutter und ihrem Vater Gefängnis, Folter und sogar der Tod. Denn das Leben eines politischen Gegners zählt nicht viel.
In Paris beginnt für die drei ein neues Leben, allerdings mit vielen Einschränkungen. Eine ganz andere Kultur, eine völlig fremde Sprache. Maryam hat sich von ihren Freunden, Verwandten und von ihren Spielsachen trennen müssen. Einsam ist es für sie, und es fällt ihr schwer, sich umzugewöhnen. Was soll sie tun? Sich voll als Französin integrieren und ihre Wurzeln abstreifen, oder sich als Gast in Frankreich sehen, mit dem Ziel, wieder in den Iran zurückzugehen? Wäre das überhaupt noch denkbar, als Frau, die die Freiheit kennt, in einem Land zu leben, in dem die Frauenrechte noch stark eingeschränkt sind? Ein Mittelweg scheint schwer zu finden zu sein.
»Weißt du eigentlich, was es bedeutet, nirgendwo zu Hause zu sein? In Frankreich heißt es, ich sei Iranerin. Im Iran heißt es, ich sei Französin. Kannst sie meinetwegen haben, meine zwei Kulturen, ich schenke sie dir. Leb eine Weile damit und dann sag mir, ob es wirklich so ein >Segen< ist.« (S. 171)
Maryam Madjidis Buch ist autobiografisch, und doch ein Roman. Sie erzählt nicht chronologisch und sachlich nüchtern, sondern benutzt verschiedene Stilmittel, um sich auszudrücken. Beispielsweise gibt es Wechsel von der dritten Person zur Ich-Perspektive oder zur direkten Ansprache. Es sind kurze, knapp gehaltene Kapitel, die episodenhaft Sequenzen ihres Lebens wiedergeben. Manchmal nur in Fragmenten, manchmal sehr poetisch.
Zwei Dinge haben mich besonders beeindruckt: zum einen gelingt es ihr damit sehr gut, ihre Empfindungen zu transportieren. Ob die Liebe zu ihrer Mutter oder die Einsamkeit an ihrem ersten Schultag in Paris – ich kann es sehr gut nachempfinden. Zum anderen überfordert sie mich als Leser nicht. Auch bei den poetischen Passagen verstehe ich, was sie ausdrücken möchte. Trotzdem habe ich das Buch nach dem einen oder anderen Kapitel kurz weggelegt, um das Geschrieben zu reflektieren. So wird mir sehr bewusst, was es für Maryam bedeutet hat, ihr Geburtsland zu verlassen – als Kind und auch als Erwachsene. Sie gibt all denen eine Stimme, über die viel geredet wird, die allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung selbst kaum gehört werden. Obwohl ihr Aufbruch ins Exil schon über dreißig Jahre her ist, ist Maryams Geschichte von dramatischer Aktualität, zeigt sie doch, dass das große Ziel der ‚Integration‘ im Sinne einer Verschmelzung mit der bestehenden Kultur gar nicht möglich, und letztlich auch nicht nötig ist.
Persönliches Fazit
Bei „Du springst, ich falle“ funktionieren die verschiedenen Stilmittel ausgezeichnet, um Empfindungen und Eindrücke zu transportieren. Kein Buch, das ich kurz weggelesen habe, aber eines, das mich beeindrucken konnte und bei mir definitiv noch lange nachhallen wird.
© Rezension: 2018, Marcus Kufner
Roman
Blumenbar Verlag – ISBN: 9783351050504
2018
gebunden, 220 Seiten