In Finsterwalde, einer geräumten Provinzstadt, hat man Tausende Schwarze kaserniert. Unter ihnen Marie mit ihren beiden Kindern. Die Versorgung ist spärlich, die Grenzzäune sind streng bewacht, Strukturen müssen erst noch geschaffen werden. Die Devise heißt Überleben. Da geht das Gerücht, in Berlin seien drei schwarze Kinder zurückgeblieben, vergessen von allen. Marie beschließt, einen Weg aus dem Lager zu finden, um die drei vor dem sicheren Tod zu retten.
Parallel dazu erzählt der Roman von einem griechischen Paar, angeworben wie viele andere, um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu füllen. Die Ärztin Eleni bekommt eine verwaiste Praxis in Berlin zugewiesen. Theo findet Spuren der früheren Besitzerin – Marie – und macht sich gegen alle Verbote auf die Suche nach ihr. [© Text und Cover: Rowohlt Verlag]
Was passiert, wenn Rassisten und Nationalisten an die Macht gewählt werden? Max Annas skizziert daraus ein erschreckendes und bedrückendes Szenario in seinem Roman. Vielen ist es sehr recht, dass endlich nur noch Deutsche und solche, die wie Deutsche aussehen, auf der Straße anzutreffen sind. Fühlt man sich da sicherer? In einem Land, das alles und jeden überwacht, bestimmt nicht. Die Ärztin Marie hat leider nicht rechtzeitig das Land verlassen und wird mit ihren Kindern in Finsterwalde interniert. Sie ist zwar Deutsche, hat aber aus Sicht der Politiker die falsche Hautfarbe.
Die erste Hälfte des Buchs liest sich in etwa wie eine Sozialstudie. Was macht das mit den Menschen, in einer Kleinstadt eingesperrt zu werden? Man hat nichts zu tun, wird – hoffentlich – täglich aus der Luft mit Lebensmitteln versorgt, und das schlimmste: keiner weiß, wie es weitergeht. Werden alle umgebracht, wie es in Deutschland schon mal gemacht wurde? Oder ist an den Gerüchten etwas dran, dass sie von anderen Ländern aufgenommen werden? Keiner sagt ihnen dazu etwas. So versucht die Gemeinschaft sich zu konstituieren. Wie bekommt man die Lebensmittelverteilung gerecht hin? Wer hat das Sagen, wenn es keine Polizei gibt? Wer darf ermitteln, als der erste Mord geschieht? Oder sagt einfach der Stärkere, wo es lang geht? Es ist für alle hart, aus ihrem Alltag gerissen worden zu sein und sich auf diese Situation einlassen zu müssen.
Maries Geschichte wechselt sich in kurzen Kapiteln mit der von Theo ab. Der hat seine Heimat Griechenland wegen der für ihn prekären Lage dort in Richtung Deutschland verlassen. Seine Frau übernimmt Maries verwaiste Praxis. So richtig konnte ich es nicht nachvollziehen, wieso er sich auf die Suche nach Marie macht, von der er Spuren in der von ihr übernommenen Wohnung findet. Mir wäre es leichter gefallen, das nachzuvollziehen, wenn er ein klareres Motiv dafür gehabt hätte.
So richtig spannend wird es in der zweiten Hälfte des Buchs, als es Marie mit ein paar anderen gelingt, aus dem Lager zu fliehen. Die Freiheit gewinnen sie damit allerdings nicht, denn eine Gruppe Schwarzer kann sich nur von einem Versteck zum anderen bewegen. Wenn sie gesehen werden, wird gleich die Polizei anrücken. Und zimperlich geht es dann nicht zu.
Verhalte dich unauffällig, sagte sie sich. Geh wie eine normale Frau. Du bist eine normale Frau. Sie haben dich zu einer anderen gemacht. (S. 387)
Während ich bei der ersten Hälfte nicht so recht wusste, wohin sich der Roman entwickelt, hat mich die zweite richtig gepackt. Da beginnen die Protagonisten zu agieren und es entwickelt sich ein Thriller um Leben und Tod. Die Dramatik wird zusätzlich mit kurzen, knappen Sätzen erzeugt. Allerdings bleiben am Ende Fragen offen. Das wirkt etwas unfertig oder als ob noch eine Fortsetzung kommen würde.
Persönliches Fazit
„Finsterwalde“ kreiert ein bedrohliches Szenario, das hoffentlich nie so kommt und doch erschreckend glaubhaft ist. Nach der gemächlichen, passiven ersten Hälfte wurde es richtig spannend, da bin ich nur so durch die Seiten geflogen.
© Rezension: 2018, Marcus Kufner
Roman
Rowohlt Verlag – ISBN: 978-3-498-07401-2
24.07.2018
Gebunden
400
www.rowohlt.de