Zeitreise ist eine Fiktion, die die Menschen nicht erst seit den „Zurück in die Zukunft“-Filmen fasziniert. Für einen Autor ist das ein Thema, das ihm schier grenzenlose Möglichkeiten bietet. Der Ansatz von Stephenson und Galland ist dabei eher ein wissenschaftlicher. Dass Forschungen im Bereich der Metaphysik dazu führen könnten, Zeitreisen zu ermöglichen, kann ich nicht widerlegen und ist für mich damit glaubhaft hergeleitet. Und dass es funktioniert, ist von Anfang an klar, denn das Buch beginnt mit dem Bericht von Melisande, die im Jahr 1851 gestrandet ist, ursprünglich aber aus dem Hier und Heute stammt.
Im Mittelpunkt des Romans steht die Organisation D.O.D.O., die nach den ersten erfolgreichen Versuchen erheblich an Bedeutung gewinnt. Sie ist dem US-Militär unterstellt, das die unglaublichen Möglichkeiten der Technik für ihre höchst geheimen Zwecke nutzen will. Wobei es kein Wunder ist, dass wenn die Büchse der Pandora erst mal geöffnet ist, auch andere Mächte mitspielen wollen. Auch weil hier die 4. Dimension mit hineinfließt, ist es besonders schwer zu durchschauen, wer wirklich die Kontrolle hat. Wenn der Mensch meint, Gott spielen zu können, ist das meist nicht gut ausgegangen. Wer nutzt seine Macht denn schon wirklich zum Wohle Allgemeinheit?
Zum Verschicken in eine andere Zeit benötigt man Menschen, die Magie beherrschen. Das sind hier weibliche Personen, die ganz klassisch „Hexen“ genannt werden. Da die in verschiedenen Zeitzonen zuhause sind, prallen bei den Begegnungen mit ihnen ganz unterschiedliche Kulturen aufeinander. Da muss so manche ihr Weltbild deutlich erweitern…
In einer Welt, in der Kutschen ohne Zugtiere fahren und Essen ohne Mühe im Überfluss vorhanden ist, einer Welt, wo sonderbare Fackeln aller Art, von denen für gewöhnlich keine ein Haus niederbrennen würde, und sei es ganz aus Holz, genügend Licht abgeben, um jede Dunkelheit zu brechen, und wo Hinz und Kunz prachtvollere Kleidung tragen als die allermeisten Leute in London, und noch dazu in erstaunlicher Vielfalt …, da muss es etwas geben, irgendeine Eigenschaft oder einen Vorteil, den die Menschheit einstweilen nur mit Magie zu erreichen vermag. Nichts Materielles kann es sein, denn keine mir bekannte Magie hat je für Fürsten solche Luxusgüter herbeigeschafft, wie die einfachen Leute hier es für gang und gäbe halten. (S. 622)
Melisandes Erzählweise hat mir gleich gefallen. Dass sie ihre wahren Gedanken erst mal aufschreibt und manchmal dann mit Streichungen korrigiert, hat mich öfter zum Schmunzeln gebracht. Auch dass sie mich mit „werter Leser“ direkt anspricht, zieht mich rein in ihre Geschichte. Ihr Beitrag ist aber nur ein Teil des Buchs, die Autoren haben sich eine ungewöhnliche Struktur überlegt. Es gibt unter anderem Tagebucheinträge, Briefe, Kommunikationsprotokolle und sogar Einblicke in Personalakten, die mir als Leser die Personen und ihre verschiedenen Ansichten näherbringen. Dass die Sprache sich dabei an die Zeit anpasst, aus der der Verfasser kommt, macht das sehr authentisch. Auch die unterschiedliche Gestaltung trägt dazu bei. Das bringt Abwechslung in den mit immerhin 864 Seiten doch recht dicken Wälzer. Ich habe mich jedenfalls zu keiner Zeit gelangweilt. Ganz im Gegenteil, ich würde mich über eine Fortsetzung freuen!
Persönliches Fazit
Chancen und Risiken der Entdeckung von Zeitreisen: Die nachvollziehbare wissenschaftliche Herangehensweise, der gelungene Erzählstil und vor allem die ungewöhnliche Struktur haben mich sehr gefesselt. Gerne mehr davon!
© Rezension: 2018, Marcus Kufner
Roman
Goldmann – ISBN: 978-3-442-31490-4
10.12.2018
Gebunden
864
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