Rezension: Ins Dunkel | Jane Harper

by Wolfgang Brandner
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Jane Harper - Ins Dunkel - Cover

Jane Harper – Ins Dunkel || Fünf Frauen unternehmen eine Wanderung durch den australischen Busch, organisiert von ihrer Firma, ausgerüstet nur mit Kompass und Landkarte. Tage später kommen nur vier von ihnen zurück. Aaron Falk, Ermittler der australischen Polizei, muss die vermisste Alice Russell unbedingt finden. Sie ist seine Informantin bei einem Unternehmen, das unter dem Verdacht der Geldwäsche steht. Alice kennt nicht nur die Machenschaften der Firma, sondern auch die dunklen Geheimnisse ihrer Kolleginnen, mit denen sie unterwegs war. Die Wildnis ist unerbittlich, lange wird Alice hier nicht überleben. Doch die wahre Gefahr droht von ganz anderer Seite …[Text & Cover: rororo Verlag]

Eine Extremsituation ist ein beliebter Rahmen, um Figuren von all ihrem zivilisatorischen Ballast an anerzogenen Verhaltensweisen zu befreien. Sie offenbart ihren wahren Charakter. Sie wirkt wie ein reinigendes Feuer, das in kürzester Zeit den Wesenskern jeder Persönlichkeit freilegt. In Jane Harpers neuem Roman bildet der australische Busch dieses Feuer. Durch dieses schickt sie fünf Arbeitskolleginnen auf einem Teambuilding-Ausflug, ehe sie schließlich in einer verfallenen Hütte – geschwächt und mit blank liegenden Nerven – die Nacht auf engstem Raum miteinander verbringen müssen. Bis dahin haben sie die Orientierung verloren, sie sind durchnässt, hungrig, schmutzig, verletzt und haben keine Möglichkeit, Nahrung zuzubereiten.

Mit dem Ladestand des Akkus schwindet die Hoffnung

Die Autorin exponiert dabei einen rundum von den Errungenschaften der Technologie versorgen, der Natur entfremden Typ Mensch, der die Bedürfnispyramide umgestaltet: Nicht mehr Wasser oder Nahrung sind die wichtigsten Elemente im Überlebenskampf, sondern die Netzanbindung des einzigen Mobiltelefons. Die unsichtbare Rettungsleine zur Zivilisation ist gekappt, mit dem Ladestand des Akkus schwindet auch die Hoffnung.

Die Geschichte wird abwechselnd in zwei zeitlich versetzten Handlungssträngen erzählt. Die Rahmenhandlung bildet die Gegenwart, in der nach der verschwundenen Alice gesucht wird. In den eingeschobenen Rückblenden wird das Geschehen in der Wildnis aufgerollt. Die einzelnen Abschnittspaare je Kapitel wirken jedoch nicht aufeinander abgestimmt. In einer Konstruktion wie dieser wird Spannung erzeugt, indem die Haupthandlung die Konsequenz jener Ereignisse demonstriert, die in der folgenden Rückblende geschildert werden. Jane Harper lässt die einzelnen Abschnitte zwar jeweils mit einem Cliffhanger enden, verzichtet jedoch auf diese Ursache-Wirkung-Beziehungen.

“Grausamer als die Natur ist nur der Mensch.”

An dieser Devise aus dem Klappentext scheint sich die Autorin zu orientieren. Sind erst einmal Orientierung und Gaskocher verloren, lauern die größten Gefahren für die fünf Abenteurerinnen innerhalb der Gruppe. Bedrohungen durch äußere Einflüsse wie Wildnis und Witterung geben nur mehr den Rahmen vor. Die Isolation lässt schwelende Konflikte zu psychologischen Buschfeuern auflodern, die zudem von den individuellen Vorgeschichten angefacht werden. Doch als Leser vom anderen Ende der Welt will man noch tiefer in diese spezifisch australische Atmosphäre eintauchen, will man durch Trockenheit und urzeitliche Wildnis die Spannung noch weiter erhöht erfahren. Die Autorin könnte die Erschließung der terra australis incognita für das Thriller-Genre zu ihrer persönlichen Spezialität erheben.

Ein Protagonist, der aus der Reserve gelockt werden möchte.

Obwohl es sich bei “Ins Dunkel” bereits um den zweiten Einsatz von Aaron Falk handelt, wirkt er immer noch farblos. Zwar mag man seine Wortkargkeit als Nachdenklichkeit und sein spärliches Handeln als Besonnenheit auslegen, doch verbleibt am Ende der Eindruck, die Hauptfigur immer noch nicht besser kennengelernt zu haben. Seine etwas gesprächigere Partnerin Carmen Cooper scheint als charakterliche Ergänzung zum spröden Falk konzipiert zu sein. Jene Szenen, in denen sie versucht, ihn aus der Reserve zu locken, verleihen dem Roman eine sympathische Würze. Und tatsächlich gelingt es ihr schließlich, seine Schale ein Stück weit zu öffnen, als Falk sich anhand alter Wanderkarten mit handschriftlichen Notizen an seinen verstorbenen Vater erinnert.

Bis auf einige vage Anspielungen bleiben die Erinnerungen der Leser von “The Dry” (das mittlerweile mit dem neuen deutschen Titel “Hitze” erscheint) weitgehend unberührt. Der Zusammenhang zwischen den beiden Romanen wird nur widerwillig hergestellt, als ob die Autorin ihrer Figur bereits im zweiten Band einen Neustart ermöglichen wollte.

Persönliches Fazit

Ähnlich wie im Vorgängerband bilden die extremen australischen Umweltbedingungen eine Brennlinse, unter der menschliche Konflikte entflammen. Da die Autorin jedoch offensichtliche Gelegenheiten zum Spannungsaufbau nicht voll ausnutzt, wird “Im Dunkel” kaum als Höhepunkt im Gedächtnis verbleiben.

© Rezension: 2018, Wolfgang Brandner

 

Ins Dunkel
Jane Harper/ übersetzt von: Ulrike Wasel; Klaus Timmermann
Thriller
rororo Verlag / ISBN 978-3-499-27473-2
2018
Paperback, 426 Seiten
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