Die Geschichte beginn wie ein Krimi: mit einer Leiche. Als Polizeineuling auf dem Land hat David mit so einem dramatischen Vorfall nicht gerechnet. Umso neugieriger ist er: wer war der Tote? Was hat es mit dem Tagebuch auf sich? Und wieso geht denn keiner den Spuren nach? Als dann auch David tot ist, versucht sein alter Jugendfreund Peter Licht ins Dunkel zu bringen. War Davids Todesursache tatsächlich Suizid oder wurde er wegen seiner Neugier beseitigt? Diese Frage lässt ihn nicht mehr los.
Schon bald verlassen wir die gewohnten Krimipfade und folgen Peter nach Berlin. Anders als David hat er die Provinz verlassen, um sich in der Hauptstadt als Schriftsteller zu verwirklichen. Das Leben in der Metropole ist für ihn wegen seiner bipolaren Störung allerdings nicht ohne Schwierigkeiten zu bewältigen. Wie wild es in seinem Kopf zugehen kann, erfahren wir als Leser bald, denn Peter ist der Erzähler in diesem Roman. Seine Aus- und Abschweifungen sind entsprechend enorm und ziehen mich mit, auch wenn das manchmal nicht einfach zu verfolgen ist. Da geht mir der Faden ab und an verloren. Trotzdem folge ich gern seinen wechselvollen und nicht immer logischen Gedanken.
Ich werde immer wirrer, in meinem Kopf diese ganzen Theorien, die Netzwerke an Optionen fügen sich neu. Am Ende ist alles Scheiße, geht nicht auf. Im Krimi gibt es immer den Moment der Auflösung, hier aber gibt es nur Sand. Treibsand, Quicksand. Ficksand und Wüste, feinkörnig. (S. 240)
Daniel Ketteler schafft es mit einem knappen, nüchternen Schreibstil, mich in Peter hineinzuversetzen. Allein schon wie er versucht, seinen Alltag zu meistern, lässt mich mitfiebern. Sind die Medikamente, die er schlucken soll, sinnvoll? Hauen die ihn nicht um? Wer wäre nicht lieber er selbst als der Fremde, den die Tabletten aus ihm machen? Aber ohne funktioniert er auch nicht wirklich. Und wie soll er etwas herausfinden, wenn ihn doch eh alle für irre halten?
Wenn ein Psychiater einen Roman schreibt, habe ich die Befürchtung, dass er in einen belehrenden Stil hineinrutscht. Das passiert Daniel Ketteler gar nicht. Im Gegenteil, durch den jungen Erzähler wirkt der Text angenehm leger und unaffektiert. Die ungewöhnliche Sichtweise und eine Prise trockener Humor passen da gut dazu. Auch der Wechsel der Perspektiven funktioniert sehr gut. Mal erfahren wir etwas über David, mal gibt es Auszüge aus dem Tagebuch des Toten auf dem Hochsitz, dann erzählt wieder Peter, und dann rückt immer mehr dessen Psychiater Dr. Baust in den Fokus. Dass ein Seelenklempner meist selbst therapiebedürftig sei, scheint bei dieser Figur leitend gewesen zu sein. Eine willkommene Art der Selbstironie.
Psychiater sind schwammartige, gesichtslose Wesen, die sich nur an ihr Gegenüber anlehnen, eine überflexible, anpasserische Zunft, Lakaien der Launen, Recycler von Reizen und Emotionen. (S. 193)
Persönliches Fazit
Auch wenn mir im Laufe des Buchs der rote Faden hin und wieder verloren ging, habe ich die verschiedenen Perspektiven und Entwicklungen gerne verfolgt. Mit seinem nüchternen, treffsicheren Stil bringt mich Daniel Ketteler ganz nah ran an seine durchaus komplexen Charaktere und ihre Gedanken.
© Rezension: 2019, Marcus Kufner
Roman
Launenweber – ISBN: 978-3-947457-00-7
15.06.2018
Gebunden
312
www.launenweber.de