Gudrun Lerchbaum | Wo Rauch ist

by Wolfgang Brandner
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Wo Rauch ist - Gudrun Lerchbaum - Argument

Gudrun Lerchbaum | WO RAUCH IST || Sie ist daran gewöhnt, dass Leute wegschauen, wenn es schwierig wird. Aber ein toter Journalist, und niemand stellt Fragen? Vom Rollstuhl aus nimmt Olga Schattenberg den Kampf gegen die Apathie auf. Und weiß, dass sie es allein nicht schaffen wird. Nur wo Verbündete finden? Vielleicht auf dem Friedhof? Eine gelähmte Revoluzzerin, ein harmoniesüchtiger Grabredner, eine angeknackste Straftäterin: Aus unterschiedlichen Motiven begeben sie sich auf Wahrheitssuche. Was zunehmend gefährlich wird, weil sich in Wien die politische Stimmung zuspitzt … [Text & Cover: © Argument Verlag]

Bereits nach dem ersten Kapitel wird klar, dass Gudrun Lerchbaum sich nicht um gefällige Hauptfiguren bemüht. Das Trio, das hier abseits der offiziellen behördlichen Ermittlungen an der Auflösung eines Mordfalls arbeitet, besteht aus sperrigen Persönlichkeiten. Olga, die durch eine MS-Erkrankung stark in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt ist, Adrian, der Grabredner und schließlich Kiki, die eine Haftstrafe wegen Totschlags abgesessen hat, sind untypische, am Rand der Gesellschaft angesiedelte Protagonisten. Jede von ihnen ist ausgesprochen scharf und facettenreich gezeichnet und mit Verhaltensweisen ausgestattet, die das Überleben im eigenen Umfeld bestimmen. Wenn diese Eigenheiten nun zusammentreffen, ist das Ergebnis höchstwahrscheinlich unkonventionell, in jedem Fall jedoch unvorhersagbar. Sie verhalten sich wie drei Himmelskörper, die sich gegenseitig auf chaotische Weise in ihren Umlaufbahnen beeinflussen.

Das elektrische Gefühl intensivierte sich. Ein Prickeln wie von winzigen Blitzen, die, so kam es ihr vor, ein ebenso verlustreiches wie sinnloses Gefecht gegen die zunehmende Taubheit führten, die zunächst ihre Füße über das übliche Maß hinaus ergriffen hatte und sich nun die Beine aufwärts arbeitete. Ein inneres Gewitter, das der Hülle jene Energie entzog, die sie benötigte, um den Kontakt mit der Außenwelt aufrechtzuerhalten. (S. 131)

Olga genießt durch ihre Wut über die körperlichen Unzulänglichkeiten in ihrer Umwelt eine gewisse Freiheit in ihren Handlungen. Damit wird sie für Gudrun Lerchbaum gleichzeitig zu einer Schelmenfigur, die ihre Meinung ungeschönt und oft mit beleidigender Ehrlichkeit ausdrückt. Adrian, durch den täglichen Umgang mit trauernden Menschen ein Meisterdiplomat, bemüht sich nach Kräften, ausgleichend zu wirken. Diese Bemühungen werden jedoch regelmäßig von Kiki sabotiert, die Olgas Lust an der Provokation teilt.

Die einzelnen Kapitel erzählen aus personaler Perspektive jeweils aus der Sicht einer der Figuren, sodass in der Gewichtung ein Gleichgewicht zwischen ihnen entsteht. Dabei wirkt die Wahl der zweiten Person – das Du-Wort mit sich selbst – in den Kapiteln aus Kikis Sicht wie ein Stilbruch zu den übrigen. Indem sie also im dauernden Selbstgespräch das Geschehen und sämtliche Sinneseindrücke kommentiert, wandelt sich auch das Bild der Figur. Die als einfältig vorgestellte Gesetzesbrecherin erweist sich als extrem reflektiert, aufmerksam und scharfsinnig. Beispielsweise hält sie im Gespräch mit einer Polizistin ihre Körpersprache unter Kontrolle:

“Du hebst die Schultern, umarmst dich selbst und lässt wieder los, öffnest dich ganz, machst Wangen und Kiefermuskeln weich. Eine Inszenierung.”
“Nur weil du gelernt hast, von innnen heraus zu erstarren, zuckst du nicht zusammen. Der Schreck in den Augen, den kriegt man nicht weg, und den hat sie gesehen. Du legst deine Hände in den Schoß, weil sie zittern.”
(S. 210)

Darüber hinaus nutzt Gudrun Lerchbaum Bewusstseinsströme zur detaillierten charakterlichen Ausgestaltung ihrer Figuren. Diese verdichten die Wahrnehmungen und vermengen sie mit den dazugehörigen Gedanken zu oft skurrilen Assoziationsketten. Dadurch erscheint das Geschehen wie in Zeitlupe. Der Text wirkt wie destilliert, wie in mehreren Überarbeitungen von allem sprachlichen Füllmaterial befreit. Womöglich hätten andere Autoren diesen Inhalt auf einen größeren Umfang ausgewälzt.

Von dem Mord an einem kritischen türkischen Journalisten als Ausgangssituation bis hin zu rassistisch motivierten Ausschreitungen, zeichnet der Roman stückweise und nachvollziehbar eine Eskalation. Die Autorin begreift dabei den Krimi als vertrautes, eher konventionelles Genre lediglich als Form für einen durch und durch politischen Inhalt. Aus ihren Zeilen spricht dabei die tiefe Sorge über die aktuelle, bewusst herbeigeführte Polarisierung der Gesellschaft durch rechtspopulistische bis hin zu rechtsextremen Bewegungen weltweit. Aufhetzung und verbale Aggression führt zu Pöbeleien und physischer Gewalt. Die Brandstifter entfachen einen Funken, der zum Flächenbrand wird. Wie die verbrannte Erde nach einem solchen aussehen könnte, hat die Autorin in ihrem letzten Roman LÜGENLAND in beängstigender Weise gezeigt. Darin ist Österreich nach der Machtübernahme durch eine rechtspopulistische Partei zu einem xenophoben Überwachungsstaat geworden. “Wachsamkeit ist Bürgerpflicht”, lautet in dieser Dystophie eine der Parolen, mit der die Menschen indoktriniert werden. Indem die Autorin diese Phrase in “Wo Rauch ist”, aufgreift, stellt sie eine subtile Verbindung zwischen den beiden Romanen her. Somit kann der aktuelle Roman auch als eine leise Warnung verstanden werden, als eine Erinnerung, die Lektionen der Geschichte zu beherzigen.

Eine besondere Spezialität gönnt Gudrun Lerchbaum ihren Lesern (und wohl auch sich selbst) mit der Inszenierung einer fiktiven Ausgabe der “Zeit im Bild 2”, der täglichen Nachrichtensendung des ORF. Die Dramaturgie der einzelnen Beiträge, der Tonfall und die Bildfolge sind dabei so exakt getroffen, als hätte Lerchbaum pünktlich um 22:00 vor dem Fernseher mit geschrieben. Obwohl die Namen, etwa der Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit oder eines renommierten Moderators verfremdet sind, für Interessierte am politischen Geschehen sind die referenzierten Personen identifizierbar. Auch der in der Sendung interviewte Innenminister wird namentlich nicht genannt, ist aber durch seine Ausdrucksweise klar zu erkennen.

Persönliches Fazit

Figuren abseits der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, die sich durch wachsende politische Spannungen manövrieren … WO RAUCH IST von Gudrun Lerchbaum wirft einen besorgten Blick auf unsere Gegenwart und liefert dem Leser Bilder in einer dicht gepackten Sprache.

© Rezension: 2018, Wolfgang Brandner

Wo Rauch ist
Gudrun Lerchbaum
Argument Verlag | ISBN: 978-3-86754-233-3
2018
Taschenbuch, 288 Seiten
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