Lawrence Osborne schrieb Reisereportagen u.a. für den “New Yorker“ und das merkt man der Geschichte an, denn er legt ein ganz besonderes Augenmerk auf eine atmosphärisch dichte Beschreibung der Natur, sei es auf der griechischen Insel Hydra oder auch auf späteren „Roadtrip“ des Syrers Faoud in Italien.
Wenn der Überdruss die Oberhand gewinnt…
Naomi Codrington ist 24, reich, schön und verwöhnt und zugleich sehr geheimnisvoll, unnahbar und düster in ihren Gedankengängen. Sie ist auf der Sonnenseite des Lebens geboren, was sie aber auch nicht vor den Schicksalsschlägen des Lebens verschont, verliert sie jung ihre leibliche Mutter. Für ihre Stiefmutter empfindet sie Verachtung und auch das Verhältnis zu ihrem dem Vater liegt sehr im Argen. Ob Naomi trauert, ob sie ihre Mutter vermisst – das erfahren wir nicht. Auch nicht, woher die aufgestaute innere Wut auf ihren Vater Jimmy, der schwelende Hass auf die Stiefmutter Phaine kommt. Osborne bedient sich einem Stil, der zwar hervorragend das „Hier und Jetzt“ Leben der Snobs spiegelt, der ihn aber davon befreit, zu sehr in die Tiefe gehen zu müssen bei seinen Charakteren: Wir befinden uns immer in der Gegenwart, es gibt keinerlei Rückblenden und Erinnerungen.
Die Beschreibungen über das Leben der privilegierten Reichen auf Hydra nehmen zu Beginn viel Platz ein. Ruhig und träge plätschern die Seiten dahin. Aber es trägt auch die Stimmung, spiegelt die Situation gut wider. Nichts mehr kann die dekadente Gesellschaft beeindrucken, alles wurde schon auf die ein oder andere Weise erlebt. Der Alltag ist von Banalitäten durchzogen, Überdruss macht sich breit. (Auch bei mir als Leserin!) Abgründige Gedanken brechen da sehr leicht Bahn, wenn ein Abenteuer in Aussicht ist.
Eine abtrünnige Idee und ihre Folgen
Als Naomi zusammen mit ihrer neu gewonnen Freundin Sam bei einem Bootsausflug den Obdachlosen und vermutlich Geflüchteten Faoud entdeckt, brandet in Naomi eine haarsträubende Idee hoch. Eine Idee, die sie vordergründig als eine gute Tat präsentiert. Sie helfen Faoud, besorgen ihm eine Unterkunft und Essen, verbringen Zeit mit ihm. In Naomis Fall auch die Nacht, denn sie kommen sich auch sexuell näher. Sie unterbreitet Faoud ihre Idee, bietet an, ihm den Weg für einen Raubüberfall im elterlichen Haus zu ebnen. Die Familie ist reich, da gib es einiges zu holen – was im Übrigen natürlich versichert ist. Keiner kommt zu Schaden und Faoud kann sich mit dem Diebesgut, dem Wagen des Vaters inklusive einer von Naomi bereitgestellten Fährpassage absetzen und ein neues Leben beginnen. Naomi selbst scheint überzeugt von ihrem vermeintlich edlen Motiv, zu helfen, Gutes zu tun. Dass sie ihn für ihre eigenen, zutiefst persönlichen Zwecke instrumentalisiert, das ignoriert sie gekonnt. Nach und nach überzeugt sie Faoud von dem Vorhaben. Dem Reichen nehmen, dem Armen geben, so ihr schlagendes Argument.
Da es ohne Hilfe wohl nicht gelingen kann, weiht sie die Haushaltshilfe mit ein – und natürlich Sam, ihre Freundin. Ist es Naivität, ist es Berechnung? Man weiß es nicht. Der Plan ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt und es kommt natürlich, wie es kommen muss. Faoud muss plötzlich eine folgenschwere Entscheidung treffen…
War das alles nur ein Traum?
Die Geschichte nimmt Fahrt auf, Langeweile ist keine mehr zu spüren und eh man sich versieht, befindet man sich auf einer Art Roadtrip durch Italien. Die Ereignisse überschlagen sich. Und dann: ist plötzlich alles vorbei. Alles erscheint wie ein Traum, der nach und nach verblasst, je wacher man wird. War da überhaupt etwas gewesen? Das Leben geht weiter. Bis zum nächsten Abenteuer…
„Bald jedoch beruhigte sich die Lage, und alles floss wieder ruhig dahin, denn es war unter Reichen Gesetz, dass die Muße im Sommer wie ein breiter und anmutiger Strom dahinfließen sollte.“
“Welch schöne Tiere wir sind” von Lawrence Osborne ist ein abgründiger und boshafter Roman über die Selbstverliebtheit, über Moral und Schuld. Aber ist es auch ein lesenswerter Roman? Ich war stellenweise genervt von all den Charakteren, zu denen ich durch die Bank weg keine Verbindung aufbauen konnte. Ich habe das Buch zugeschlagen und weiß bis heute noch nicht, was ich davon halten soll. Zu viele Fragen bleiben offen, die Oberflächlichkeit als Stilmittel lässt mich unbefriedigt zurück. Vor allem in Bezug auf Faoud, über den ich so gut wie nichts erfahre. Auch zweifelte ich stark an der Plausibilität der Geschichte, das funktioniert für mich einfach nicht. Gerade in der zweiten Hälfte steckt zu viel drin, ist zu viel gewollt, viel zu übertrieben.
Und aufgrund all dessen stehe ich abschließend vor DER Frage: War womöglich wirklich alles nur ein wirrer Traum, von Naomi selbst geträumt in der flirrenden Hitze auf einer Liege am Meer???
@2019, Alexandra Stiller
Liebe Leser*innen: Wer hat das Buch gelesen? Wie ist es Euch ergangen?
Roman
Piper Verlag | ISBN: 978-3-492-05926-8
2019
336 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
www.piper.de
2 comments
Ich fand es ja sehr großartig. Sprachlich (auch gut von Stephan Kleiner übersetzt), überzeugend im Aufbau des Settings. Natürlich ist die Geschichte reich an Klischees, aber das ist ja das Prinzip, auf dem Osborne aufbaut. Und viele Bezüge, die mir im Buch auffielen, vor allem die Anleihen bei Shakespeare. Das hat mir wirklich gut gefallen!
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