Schon nach wenigen Sätzen wird mir hier klar: dieses Buch ist kein gewöhnliches, das wird ein Leseabenteuer der besonderen (sprachlichen) Art. Mit Neugierde und zuversichtlicher Erwartung habe ich mich da hineinbegeben, gespannt darauf, was sich daraus entwickeln würde.
Einen klassischen Handlungsstrang gibt es schon mal nicht, ich konnte jedenfalls keinen dramaturgischen roten Faden erkennen. Zumeist geht es um die verschwundene Johanna. In Rückblicken und Erinnerungen wird sie intensiv charakterisiert. Nach der Heftigkeit, mit der sie vermisst wird, muss es sich bei ihr um einen ganz besonderen Menschen handeln. Der Erzähler gibt jedenfalls nie die Hoffnung auf, sie zu finden oder dass sie eines Tages einfach wieder da sein wird.
Als sie fort war, war uns, als fielen wir durch die Tage. Morgens, wenn wir aufwachten in unseren Betten, öffnete sich unter uns eine Luke, und aus ihr fielen wir in den Tag hinein und durch ihn hindurch, viele Stunden lang, bis auf dem Grund des Tages eine weitere Luke sich öffnete und wir zurück auf unsere Betten fielen. (S. 9)
Es drängen sich mir einige Fragen auf: Wer ist denn eigentlich der Erzähler? Immer spricht er in der Wir-Form, als wenn er keine eigene Identität hätte. Und sind dieses ‚wir‘ wirklich Johannas Kinder, wie es an ein paar Stellen angedeutet wird, oder ist das eine Symbolik? Und wieso gibt die Autorin der Verschwundenen Figur ihren eigenen Vornamen? Auch da kann oder will so Manches hineininterpretiert werden. Antworten darauf habe ich jedenfalls im Buch nicht gefunden. Das sind Beispiele dafür, wie ich als Leser auf ein unsicheres Parkett gesteuert werde, unfähig, meine Gedanken irgendwo zu verankern. Eine Unsicherheit, die gleichermaßen fasziniert wie verstört. Die Verlassenen scheinen jedenfalls nicht so recht zu wissen, wohin mit sich und der Welt. Das fängt Johanna Maxl auf eine ungewöhnliche Weise ein.
Das, was das Buch trägt, ist die Sprache. Frei, grenzenlos und ungezügelt kommt sie mir vor. Oft auf eine kraftvolle Art poetisch trägt sie die Gedankenfetzen und Erinnerungsstücke, verklärt oder idealisiert sie immer wieder. Zugegeben, nicht in jedem scheinbar zusammenhanglosen Gefasel erkenne ich einen Sinn, dem jage ich dann auch nicht hinterher. Trotzdem oder gerade deswegen würde ich das Buch am liebsten gleich nochmal von vorne beginnen, um meine Sichtweise auf den Text nochmal zu reflektieren.
Persönliches Fazit
Selten hat mich ein Text gleichermaßen so verstört wie fasziniert, ein Leseerlebnis mit großen Höhen aber auch Tiefen. Getragen von einer starken, poetischen Sprache ist Johanna Maxls großes Album jedenfalls nie langweilig.
© Rezension: 2019, Marcus Kufner
Roman
Matthes & Seitz – ISBN: 978-3-95757-625-5
22.10.2018
Gebunden
200
www.matthes-seitz-berlin.de
1 comment
[…] UNSER GROSSES ALBUM ELEKTRISCHER TAGE ist beim Verlag Matthes & Seitz erschienen, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Weitere Rezensionen lest Ihr bei Poesierausch und im Bücherkaffee. […]