Jennifer B. Wind | Die Maske der Gewalt. Ein Richard-Schwarz-Thriller

by Wolfgang Brandner
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Cover: Die Maske der Gewalt - Jennifer B. Wind

Jennifer B. Wind | Die Maske der Gewalt || LKA-Ermittler Richard Schwarz weiß genau, wie es ist, einem skrupellosen Mörder ausgeliefert zu sein. Seit dem Tag, an dem seine Mutter durch die Hand eines Freiers starb und er selbst schwer verletzt wurde, versucht er, seine eigene Verwundbarkeit hinter einer Maske zu verbergen. Als in Wien kurz nacheinander die Leichen zweier Frauen gefunden werden, setzt Richard alles daran, den Täter zu finden: Seine einzige Spur ist das merkwürdige Muster der Stichverletzungen auf ihren Körpern. Bis die Gerichtspsychiaterin Theres Lend sich an ihn wendet: Sie glaubt, den Mörder zu kennen. Als Richards Schwester Sarah in München aus ihrem eigenen Zirkus entführt wird, spitzt sich die Lage zu. Für den Ermittler zählt jede Sekunde. Er muss Sarah retten, einen Mörder überführen – und seine eigenen Dämonen besiegen [Text & Cover: Edition M]

Wenn es so etwas wie einen Wettbewerb unter Autoren um die originellste Ermittlerpersönlichkeit gibt, hätte Jennifer Wind mit ihrem Richard Schwarz ausgezeichnete Chancen. Bereits im Prolog findet sich der Leser im schlimmsten Tag im Leben der Hauptfigur. Nach und nach verdichtet sich der Nebel an Sinneswahrnehmungen zu vollständigen Sätzen, die sich zu einem Bild formen: Richards Mutter, eine Prostituierte, wird von einem Freier brutal ermordet, das Gesicht des jungen Buben von kochendem Wasser verbrüht. Als Pflegekind kommt er bei einem Zirkus unter, wo er als Teil der großen Familie heranwächst. Inzwischen begeistert er als “Mister Domino”, der Mann mit der Maske, das Publikum in der Manege, während er hauptberuflich als Ermittler bei der Wiener Kriminalpolizei tätig ist.

Frust machte sich in ihm breit, dass er nach all den Jahren immer noch nicht den Mörder seiner Mutter aufgespürt hatte. (…) Und gerade solche Fälle, in denen Prostituierte ermordert wurden, rissen alte Wunden in ihm auf. Jede ermordete Prostituierte stand stellvertretend für seine Mutter. (…) Wenn er schon den Killer seiner Mutter nicht dingfest machen konnte, dann wollte er wenigstens die anderen Schweinehunde in den Knast bringen. (S. 109)

Eine Figur, die durch ein schreckliches Kindheitserlebnis zum Kämpfer für Gerechtigkeit wird, das ist nicht neu. Eine Figur, die zudem die Narben auf seiner Seele besser verbergen kann als jene im Gesicht und im Zirkus Illusionen erschafft, ist wahrlich faszinierend. Seine Schöpferin stattet ihn sowohl mit dem erbitterten Jagdtrieb eines Rächers, als auch mit der Lebensphilosophie eines Hochseilartisten aus. Richard Schwarz lebt zugleich in der Welt des Lichts und des Halbschattens.

Die zweite Hauptfigur ist Theres Lend, eine Psychotherapeutin, die Gutachten für Gerichtsverhandlungen erstellt. Sie leidet an einer Erkrankung, die ihr auf lange Sicht das Augenlicht nehmen wird. Der unvermeidliche Schicksalsschlag wirft sie aus der Bahn, sie findet in ihrer beruflich-wissenschaftlichen Professionalität keinen Halt. Im Verlauf der Handlung wendet sie sich an Richard Schwarz, weil sie glaubt, im Muster der Morde einen ihrer Klienten wiederzuerkennen.

Die Handlung erzählt im wesentlichen zwei Geschichten. Zum einen hat es in Wien ein Mörder auf junge Frauen abgesehen, zum anderen wird in München Richards Schwester Sarah entführt. Widmet sich der Roman zu Beginn dem aufzuklärenden Mord, verlagert sich im Verlauf der Schwerpunkt auf die Entführung. Damit agiert Richard im ersten Fall als bemüht distanzierter Ermittler, im zweiten als persönlich betroffener Bruder … was der Autorin erlaubt, seine Persönlichkeit aus mehreren Winkeln zu betrachten.

Eine Spezialität von Jennifer B. Wind ist die Verbindung penibler Recherchen mit einem Gespür für Schwachstellen im gesellschaftlichen Gefüge. Anhand einzelner, in die Haupthandlung eingeflochtener Nebengeschichten lenkt sie die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf die zerstörerische Kraft der Spielsucht, Gewalt in der Familie, die Münchener Katakomben als Zuflucht für gestrandete Existenzen … Themen, die oft stillschweigend hingenommen werden, aber ganze Leben zerreißen. Ein Hauch von Wehmut belgeitet auch die Situation des Zirkus’ in Österreich. Viele der am Gelingen einer Vorstellung Beteiligen müssen sich ein zweites berufliches Standbein finden, das Ausloten menschlicher Leistungsgrenzen als Kunstform verlagert sich von der Zeltkuppel unter ein festgemauertes Theaterdach.

Mit vielen kleinen Details am Fußgängerstreifen der Erzählstraße gelingt es der Autorin, den Roman besonders lebendig zu gestalten. Dabei erzeugt sie szenenweise die gewünschte Stimmung, wie ein Lichtstreifen, der durch seinen Einfallswinkel dunkle Ritzen ausleuchtet und andernorts die Schatten verlängert. Mit dem Charme eines vergilbten Fotos ist in den Seiten eine bohemische Zirkusatmosphäre zu verspüren. An diesem Ort ohne feste Verankerung versammeln sich Persönlichkeiten, die am Rande der Gesellschaft stehen. Sie führen ein Leben außerhalb der Normen, das von vielen oft mit einem als Misstrauen verkleidetem Neid beäugt wird. Wenn die Wohnwagen durch das Dorf rollen, werden sie von verstohlenen Blicken hinter den Gardinen begleitet. Zwischen verklärter Kindheitserinnerung und scharfgezeichnetem Alltag im gegenwärtigen Jahrhundert beschwört Jennifer Wind die Magie der Manege.

Wie ein kurzer Abstecher in ein Roadmovie wirkt die Fahrt von Richard Schwarz und Theres Lend in Richards Wohnmobil von Wien nach München. In dieser Szene tasten die beiden Hauptfiguren einander mit Worten ab, beginnen, Vertrauen zueinander zu fassen. Im Film vor dem inneren Auge sieht man den Wagen auf einer stark befahrenen Autobahn immer kleiner werden, wenn von leiser Rockmusik begleitet, der Blickwinkel immer weiter wird.
Eine Schlüsselszene spielt im “Chest & Clams”, einem Themenlokal im Piratenstil. Die Autorin empfindet merklich Freude daran, diesen Treffpunkt für Zeitgenossen aller Art, unabhängig von Herkunft und sozialem Status liebevoll detailliert auszugestalten und sogar eigene Cocktails dafür zu kreieren. Im Nachwort regt sie an: “Sollte also jemand ein Lokal dieser Art planen und einen Mitstreiter suchen, kann er sich gerne bei mir melden.”

Verglichen mit ihren beiden Vorgängerromanen scheint die Autorin im aktuellen Band für sich eine Grenze in der Darstellung der Gewalt und schwer zu ertragender Verbrechen zu ziehen. “Als Gott schlief” und “Als der Teufel erwachte” sind härter, schonungsloser, müssen vom Leser verarbeitet werden. Die Brutalität dient dabei dazu, das Bild zu schärfen, das Geschehen schmerzhaft realistisch darzustellen. Trotz des Titels wirkt “Die Maske der Gewalt” eher weichgezeichnet, an den Kanten abgerundet. Beispielsweise findet jede der genannten Nebenhandlungen ein glückliches Ende. Dadurch wird der Eindruck erweckt, sie seien tatsächlich in sich abgeschlossene Geschichten und nicht realistischerweise Momentaufnahmen aus dem Leben.

Persönliches Fazit

“Die Maske der Gewalt” von Jennifer B. Wind ist der Auftakt einer Reihe mit einer äußerst originellen, sympathischen Hauptfigur. Dazu verbindet die Autorin gewissenhafte Recherchen mit subtiler Gesellschaftskritik.

© Rezension: 2019, Wolfgang Brandner

Die Maske der Gewalt
Ein Richard-Schwarz-Thriller
Jennifer B. Wind
Thriller
Edition M / ISBN: 978-2919804139
2019
Taschenbuch, 432 Seiten
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