“If you can’t convince them, confuse them.”
Als wäre dieses Zitat des ehemaligen US-Präsidenten Harry S. Truman die Maxime, der gegenwärtig alle Form öffentlicher Kommunikation unterliegt, wird es immer schwieriger, seriöse und authentische Nachrichten von gezielt in die Welt gesetzter Desinformation zu unterscheiden. Clemens Sedmak, vielfach ausgezeichneter Professor für Theologie und Philosophie wäre wohl dazu in der Lage, dieses sich permanent verändernde Gebiet zu kartographieren.
Jedes Wort hat seine Rechte und Pflichten
Mit seinem aktuellen Band “Das Land, in dem die Wörter wohnen” wählt Clemens Sedmak ganz bewusst keinen intellektuell-wissenschaftlichen, sondern vielmehr einen emotionalen, gleichnisartigen Ansatz. Der Inhalt ist ein kompaktes Märchen für Kinder und Erwachsene, das damit beginnt, dass die Menschen einzelne Wörter vergessen. Rasch kommen immer mehr Wörter abhanden, bis schließlich vollkommene Sprachlosigkeit herrscht. Einzig in einer kleinen Buchhandlung können die Menschen sich noch auf die gewohnte Weise verständigen. Und von dort aus reist der achtjährige Günther, Hauptfigur des Buches, gemeinsam mit seinen beiden Schwestern Pia und Brigitte in das Land der Wörter. Dort tritt jedes Wort als eine Person auf, die den Charakter des Wortes widerspiegelt. Jedes Wort hat seine Rechte und Pflichten, in einem großen Gebäude, dem “Wörterbuch” müssen sich alle Wörter melden, um nicht als vermisst zu gelten. Wörter, die nur mehr selten benutzt werden und an Bedeutungsverlust leiden, ziehen sich still in ein Pflegeheim zurück.
Es ist nicht immer einfach, ein Wort zu sein. Ein Wort ist den Menschen ausgeliefert, es wird gedruckt und geschrieben, gesprochen und gesungen, geflüstert und geschrien. Und nicht immer wollen die Menschen etwas Gutes, wenn sie ein Wort verwenden. (S. 23)
Das Land der Wörter wird von König Logos, einem kleinen Wort mit weißem Gewand regiert. Weil immer mehr Wörter an den Lügen der Menschen leiden, beruft er eine große Versammlung ein. Auf dieser drückt das Wort Weisheit seine Besorgnis aus:
Die Wörter Verzeihung, Barmherzigkeit oder Selbstlosigkeit sind zum Gespött geworden, oder, noch schlimmer, die Menschenkinder wissen nicht einmal mehr, was diese Wörter bedeuten. Das Wort Gutmensch ist zum Schimpfwort geworden. (S. 34)
So werden also Günther und seine beiden Schwestern auf eine Reise geschickt, um das Land der Wörter vor der Lüge zu retten. Dabei müssen sie durch den Sumpf des Geschwätzes und den Fluss des Vergessens überqueren, der die Grenze des Landes markiert. Für den Dienst des Fährmanns müssen sie mit einer zuvor erhaltenen Münze bezahlen. (Ganz bewusst lässt Clemens Sedmak hier Bilder aus der Mythologie anklingen.) Auf der Insel Babel sprechen die Menschen in unterschiedlichen Sprachen und sind unfähig, sich miteinander zu verständigen. Schließlich treffen sie auf Malum, den König der Lügen. Gegenüber den Kindern tritt der listige Verführ wie eine zeitgemäße Version des Erlkönigs auf:
Und die süßliche Stimme fuhr fort: ‘Wenn die Menschen alle in einer Welt der Lügen leben könnten, würde es keine Schmerzen mehr geben. Und keine Krankheit. Und keinen Tod. Und keinen Streit und keinen Hass und keine Enttäuschung. Wäre das nicht wunderbar? (S. 125)
Das Märchen wird vom achtjährigen Helden Günther in der Ich-Perspektive erzählt. Clemens Sedmak muss also die Sicht eines Kindes einnehmen, viel an erlerntem Wissen und anerzogenem, konventionalisiertem Verhalten abstreifen. Sein Blick auf die Welt wird zwangsläufig klarer, unverfälschter, wie nach einer gründlichen Fensterreinigung. “Es ist anstrengend so tun zu müssen, als wäre ich erwachsen”, wird Clemens Sedmak in einem Zeitungsbericht über eine Vorstellung des Buches zitiert. Die Sprache ist daher auch bewusst einfach gehalten, um für Leser jeden Alters verständlich zu sein. Dadurch werden die Bilder auch besonders einprägsam und vermitteln einen spielerischen Zugang zur Linguistik.
Clemens Sedmak verwendet plastische Bilder
Und eben mit diesem Kunstgriff gelingt Clemens Sedmak auch das Unmögliche. Für die zahlreichen Strategien der Desinformation und die vielen möglichen Fallen in der Kommunikation kann es keine Patentlösung geben. Im Märchen hingegen kann die Lüge durch eine allegorische Figur verkörpert und somit überwunden werden. Den Platz einer magischen Waffe nimmt hier ein metaphorischer Gegenstand ein: Die Lüge wird mit dem Schleier des Schweigens zum Verstummen gebracht.
Persönliches Fazit
Clemens Sedmak erinnert mit seiner märchenhaften Geschichte an “Der kleine Prinz” und “Momo”. Die zahlreichen anschaulichen Sprachbilder wollen erforscht werden und fordern zum Nachdenken auf.
© Rezension: 2019, Wolfgang Brandner
Weitere Stimmen zum Buch:
Ein philosophisches Märchen
Tyrolia Verlag | 978-3-7022-3743-1
2019
136 Seiten
1 comment
naja, nicht immer wollen die Menschen etwas Gutes, wenn sie ein Wort verwenden…