Erinnerungen an eine Kindheit
Dreißig Jahre ist es jetzt tatsächlich schon her, dass es noch zwei deutsche Staaten gab. Viele kennen die DDR schon nur noch aus Geschichtsbüchern. Oder aus Büchern wie „Niemandsland“, in dem Matthias Friedrich Muecke seine Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend auf sehr lebendige Art und Weise festgehalten hat.
Diejenigen, die die Erinnerungen des Autors teilen, werden vieles wiedererkennen. Ob Zigaretten, Limonade oder Putzmittel – für etliche Produkte gab es eigene DDR-Marken. Für mich als „Wessi“ ist es eher ein kennenlernen, denn durch den Eisernen Vorhang haben die es nicht zu uns rüber geschafft. Und den Fall der Berliner Mauer haben auch nur wenige davon überstanden. Eine gewisse Nostalgie stellt sich aber dennoch auch bei mir ein, denn Wählscheibentelefon, Vinylplattenspieler oder Tonbandgeräte sind inzwischen Relikte einer vergangenen Zeit (auch wenn Plattenspieler heute wieder hip sind). Bei aller (N)ostalgie wird es aber nicht pathetisch.
Rückblickend wird oft der Eindruck vermittelt, es wäre alles grau und düster gewesen in der DDR. Dass das nicht ständig zutreffend war, kann man Matthias Mueckes episodenhaften Erinnerungsstücken von Momenten sorgenfreier Kindheit entnehmen. Der Ich-Erzähler und sein bester Freund Frank hatten sich so einige Streiche erlaubt und berichtet von sehr lustigen Vorfällen. Die Einschränkungen im Alltag Ost sind für ihn ja normal. Wenn ihm jemand etwas aus dem Westen mitbringt, ist das dann wie Weihnachten. Die gesinnungstreue Schulerziehung nimmt er nicht allzu ernst. Da kann man sich schnell ernsthaft Ärger einhandeln, wenn man allzu aufmüpfig wird. Manchmal ein schwieriger Balanceakt. Mueckes Text ist allerdings keine rigorose Abrechnung mit dem sozialistischen System jener Zeit. Trotzdem ist spürbar, dass das Leben in unmittelbarer Nähe zum „Todesstreifen“ bedrückend sein kann. Und an Dramatik fehlt es am Ende nicht.
Der Schulhof ist von Mauern eingefasst, die mit ihren Glasscherben-Kronen die Flucht der Schüler verhindern sollen. Unweit dahinter steht die Berliner Mauer. Mit Grenzpolizei, Hundestaffel und Wachtürmen soll sie ein ganzes Volk von Arbeitern und Bauern schützen. (S. 132)
Matthias Friedrich Muecke ist erfolgreicher Maler und Grafiker. Das merkt man seinen stilsicheren Schwarz-Weiß-Zeichnungen an, in denen es viele Details zu entdecken gibt. Die lassen mich noch tiefer in die Vergangenheit eintauchen und verstärken den an sich schon sehr lebendigen Text nochmal deutlich. Das Buch ist insgesamt äußerst gelungen, vom verwendeten Papier, über das Schriftbild bis zum Farbschnitt ist es sehr hochwertig gestaltet. Auch deswegen bin ich sehr gerne in die Geschichte dieser intensiven Freundschaft eingetaucht.
© Rezension: 2019, Marcus Kufner
Weitere Stimmen zum Buch:
Biografie
Kunstanstifter – ISBN: 978-3-942795-85-2
10.09.2019
Gebunden
208
www.kunstanstifter.de
1 comment
[…] Muecke, der Autor und Gestalter von „Niemandsland“, hat sich mit seiner Frau von Leipzig aus auf den Weg zur Frankfurter Buchmesse gemacht. Ich hatte […]